Kommentar Arbeitszeitregeln für Piloten: Im Blindflug

Die Verabschiedung der neuen Arbeitszeitregeln für Piloten war keine Sternstunde des Europaparlaments. Ein jahrelanger Prozess der Vorbereitung hat in Straßburg einen konfusen Ausgang genommen. Auf dem Ergebnis liegt der Schatten des Verdachts. Die europäische Volksvertretung sollte Klarheit in das Getöse der Interessengruppen bringen und sich eine fundierte Meinung bilden, ob das Regel-Paket nun die Sicherheit am Himmel verbessert oder gefährdet. Doch viele Parlamentarier hatten bis zum Schluss keinen Schimmer, worüber genau sie da abstimmten.

Eine kuriose Begebenheit ist in dem Zusammenhang mehr als nur Anekdote: Da tritt am Abend vor der Abstimmung der Verkehrskommissar aus Brüssel auf und berichtet den Abgeordneten von Verhandlungen, die er mit der Gewerkschaft der Transportbeschäftigten - ohne Teilnahme der Piloten - geführt habe. Und zählt Zugeständnisse auf, zu denen er bereit sei. Zum Beispiel solle niemand nach "mehr als 18 Stunden die Woche" noch Flugdienst leisten. Beschränkung der Wochen-Flugzeit auf 18 Stunden? Das war neu! Leider war es auch falsch. Siim Kallas, ein Este mit hartem Englisch, hatte nicht "Woche" gesagt, sondern "wach", nicht "a week", sondern "awake". Der Dolmetscher hatte es akustisch missverstanden und entsprechend ins Deutsche übertragen.

Was nichts weiter als lustig wäre, wenn die Abgeordneten Gelegenheit gehabt hätten, die neuen Vorschläge und Ideen des Kommissars nachzulesen. Hatten sie aber nicht. Als sie zur Abstimmung schritten, lag von Kallas schriftlich nichts vor. Die Grünen, unterstützt von den Sozialdemokraten, stellten den Antrag, die Abstimmung zu verschieben. Das wäre kein Scharsitzung findet bereits in zwei Wochen statt, die Einspruchsfrist (25. Oktober) wäre gewahrt geblieben, und nach vier Jahren Ausarbeitung des Gesetz-Entwurfs hätten ein paar Tage mehr zur Begutachtung kein Problem sein dürfen. Waren sie aber - der Antrag wurde abgeschmettert.

Die Agentur EASA, zuständig für die Flugsicherheit, hat ihre Empfehlungen mit Aufwand erarbeitet. Doch das EU-Parlament hat eine Entscheidung im Blindflug getroffen, bei der Lobby-Druck eine größere Rolle spielte als ein informiertes eigenes Urteil. Das ist ärgerlich und stimmt argwöhnisch, was das Regelungspaket selbst anlangt. Es heißt indes nicht, dass zuträfe, was die Piloten behaupten. Dass nämlich künftig die Airlines Genehmigung haben sollen, übermüdete Bedienstete an die Steuerknüppel zu setzen. Unstreitig ist, dass die neuen Regeln Verbesserungen im Sinne von mehr Sicherheit und erstmals einheitliche Standards bringen. Zumal es sich lediglich um Mindestnormen handelt - die Mitgliedstaaten sind frei. strengere Vorschriften zu erlassen.

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