Kommentar Der Umgang mit Russland - Frostige Zeiten

Berlin · Heute beginnen in Russland die Leichtathletik-Weltmeisterschaften. In einem guten halben Jahr finden in Sotschi die Olympischen Winterspiele statt. Neben der sportlichen Positionsbestimmung erhofft sich der Kreml eine weitere internationale politische Aufwertung, die Russland die Rückkehr zum Status der zweiten Supermacht neben den USA erleichtert.

Dies ist ein Prozess, der kaum noch aufzuhalten ist - auch wenn der Kreml Mittel einsetzt, die sich in Nichts von sattsam bekannten Kalte-Kriegs-Methoden unterscheiden. Das Schlimme daran ist: Der Westen schweigt größtenteils, obwohl es um Prinzipienfragen von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechten geht.

Am Beispiel der niederträchtigen Behandlung von Homosexuellen in Russland ist am ehesten nachzuvollziehen, dass unter Putin eine gesellschaftspolitische Denk-Diktatur entstanden ist. Die unerbittliche Verfolgung und Inhaftierung dieser gesellschaftlichen Minderheit stößt ab. Wie kann man auf die verwegene Idee kommen, schon das Gespräch über Homosexualität vor Minderjährigen unter Strafe zu stellen? Kein Zweifel: Die russische Demokratie (wenn sie überhaupt diese Bezeichnung verdient) fußt ganz wesentlich auf lupenreiner Repression.

Trotzdem gab es im Vorfeld des Sport-Großereignisses in Moskau keinerlei nennenswerte Boykott-Drohungen. Sie helfen im Prinzip auch nicht weiter, könnten aber Druck erzeugen.

Diese Zurückhaltung ist auf zweierlei zurückzuführen: Die Abhängigkeit Europas von der russischen Energieversorgung, deren Zuverlässigkeit von Moskau selbst als Druckmittel eingesetzt wurde. Und da ist die Kontaktfülle, über die Moskau im Nahen und Mittleren Osten verfügt. Sie kann bei der Friedenssuche, aber auch bei einem vorsichtigen Neueinschätzungsprozess der Absichten beispielsweise des neuen iranischen Präsidenten durchaus hilfreich sein.

Das Treffen der amerikanischen und russischen Verteidigungs- und Außenminister gestern Abend in Washington deutet darauf hin, dass die Absage eines bilateralen Gesprächs durch Präsident Obama eine Veranstaltung für die - durch die Snowden-Affäre aufgerüttelte - US-Galerie ist. Als durchaus beabsichtigter Nebeneffekt dieser Vorgehensweise galt, Putin öffentlich zu brüskieren. Zwar stimmt die persönliche Chemie zwischen den beiden schon seit längerem nicht mehr.

Aber: Den Handschlag wird auf dem G20-Gipfel in St. Petersburg Anfang September niemand verweigern. Der Wert des Ministertreffens liegt in der Tatsache, dass das Gespräch überhaupt stattgefunden hat. Aber klar wird auch: Von einer koordinierten Strategie im Umgang mit Russland ist die westliche Staatengemeinschaft weit entfernt. Es sind frostige Zeiten.

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