Kommentar Ein Jahr nach Obamas Wiederwahl - Ohne Werkzeug

"Das Beste kommt noch." Das Versprechen, das Barack Obama heute vor einem Jahr Amerika in seiner Heimatstadt Chicago gegeben hat, taugt nicht einmal mehr als Munition für die Satiriker. Zwölf Monate nach der klaren Wiederwahl des ersten Schwarzen im höchsten Staatsamt erlebt das Weiße Haus mit voller Wucht den "second-term blues". Schlechter geht es kaum.

Dabei ist der Fluch der zweiten Amtszeit keine Erfindung Obamas. Ob Ronald Reagan (Iran-Contra-Affäre), Bill Clinton (Lewinsky-Affäre) oder Richard Nixon (Watergate-Affäre): Vielen Staatsmännern blies der Wind in den zweiten vier Jahren brutal ins Gesicht. Mit der Konsequenz, dass ihr Ansehen in der Geschichte litt. Zumindest vorübergehend. Reagan und Nixon sind tot. Clinton, Überstaatsmann und ab 2016 potenzieller Commanderin-in-Chief-Gatte, wenn Hillary antritt, erfreut sich globaler Beliebtheit. Bei Obama dagegen sieht es finster aus.

Nur noch 40 Prozent der Amerikaner - ein neuer Tiefstwert - geben dem Präsidenten ordentliche Noten. 2009 waren es 70 Prozent. Der Absturz hat Gründe, die sich aus einem unvorteilhaften Gesamtbild speisen. Daheim stolpert Obama von einem Dilemma in das nächste.

Budget-Krise, Einwanderungs-Reform, Steuern, schärfere Waffengesetze - überall wirkt der Hoffnungsträger wie ein Getriebener auf Hochtouren, dem allmählich die Puste ausgeht. Weil er im Leerlauf fährt. Der Bonus - sinkende Arbeitslosenquote, relativ stabiler Banken- und Häusermarkt, gesellschaftliche Lockerungsübungen wie die Homo-Ehe - schmilzt dahin. Eingekeilt zwischen einem politisch verrotteten System, das den feindseligen Republikanern so viel Blockademacht gibt wie es Obama Gestaltungsspielraum raubt, und fehlenden Prioritäten im eigenen Lager erscheint der Macher von einst heute als Zauderer und Schönsprecher.

[kein Linktext vorhanden]Außenpolitisch sieht es nirgends rosiger aus. Im Nahen Osten gilt Obama von Israel über Syrien, Ägypten bis nach Saudi-Arabien als strategische Wanderdüne. Seine Drohnen-Politik, inklusive Guantánamo, und die aktuellen Unglaublichkeiten im Geheimdienst NSA stoßen auf offene Wut. Der mächtigste Makler im globalen Dorf wird nur noch als Hausmeister wahrgenommen, der nach den Schlüsseln sucht, wenn das Dach brennt und der Keller unter Wasser steht. Selbst Europa, in Treue sonst fest, auch wenn die Kanzlerin abgehört wird, rätselt: Woran ist man bei dem Mann?

In der Nacht der Wiederwahl war die Erzählung zu hören, Obama habe nun endlich Spielraum für Großes, für "Hope and Change" in echt. Stattdessen ist der Auftakt seiner letzten Wahlperiode eine Abfolge von Fehlern und mittelprächtigem Krisenmanagement. Obama kommt sein wichtigstes Werkzeug abhanden. Die Macht der Überzeugung und Begeisterung.

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