Bonner Fotografin Renate Brandt Die Vermessung der Kulturwelt

Bonn · Die Bonner Fotografin Renate Brandt erhält die August-Macke-Medaille für ihr Lebenswerk und stellt in einer fast vier Jahrzehnte umspannenden Werkschau im Künstlerforum aus.

2011 fotografierte Renate Brandt die Malerin Jorinde Voigt in Berlin.

2011 fotografierte Renate Brandt die Malerin Jorinde Voigt in Berlin.

Foto: Renate Brandt

„Sie wissen, dass ich es ernst meine, die Atmosphäre ist Ernst“, berichtet Renate Brandt über die Menschen, die ihr und ihrer Kamera gegenübersitzen. „Die Basis ist Vertrauen“, meint sie. Die Liste derer, die ihr vertrauten, ist lang, reicht von der Literaturnobelpreisträgerin Hertha Müller und dem Schriftsteller Lars Brandt, Renates Ehemann, über die Künstler Jürgen Klauke und Ulrike Rosenbach bis zu dem Filmemacher Alexander Kluge und den Galeristen Erhard Klein, bei dem sie etliche Ausstellung hatte, um nur einige „Fotomodelle“ zu nennen.

Hinzu kommen stilllebenartige Studien, Aufnahmen, die im Architekturkontext entstanden oder die wunderschöne dreiteilige Serie „Welche Geschichte?“ mit den Protagonisten Kleiderbügel, Stehlampe, Tischbock und Blümchentapete. Es sei eben keine Geschichte. Sie wolle keine Geschichten erzählen, „ich will nicht von A nach B“, sagt sie, „man sieht, was man sieht“. Fast vier Jahrzehnte umspannt die Werkschau von Renate Brandt, die am Sonntag im Bonner Künstlerforum eröffnet wird.

Verflechtung mit der Bonner Kunstszene

Anlass: Die Fotografin, die 1954 in Hannover geboren wurde, eine Buchhändlerlehre in Bonn absolvierte, beim WDR als Filmcutterin ausgebildet wurde, als Cutterin und Fotografin arbeitete, wird mit der August-Macke-Medaille 2022 der Stadt Bonn ausgezeichnet, quasi der „Oscar“ fürs Lebenswerk. 1997 hatte sie bereits den Kunstpreis der Stadt Bonn bekommen. Ihre Verflechtung mit der Bonner Kunstszene dokumentierte sie, die ehemalige Stipendiatin des Bonner Atelierhauses, sehr eindrucksvoll, als sie in einer Serie Stipendiaten der Heinrich-Böll-Stiftung fotografierte, die auch in der Dorotheenstraße ein Atelier hatten. 2014 hatte sie unter dem Titel „Enthüllung und Verzauberung“ einen Raum in der Dauerausstellung des Kunstmuseums Bonn. Schwerpunkt: Porträts.

„Die Beschränkung ist mir wichtig“, sagt die Bonner Fotografin. Das bedeutet: Konzentration auf das Quadrat und den Negativ-Film sechs mal sechs Millimeter, konsequent analog, maximal drei Filme pro Porträtsitzung, das sind 36 Bilder, das Format ist bindend, es wird nicht geschnitten oder verschoben, Arbeit ausschließlich mit Tageslicht, Entwicklung und Schwarz-Weiß-Abzüge macht Renate Brandt selbst. Und beim Fotografieren: „Ich muss mich auf die Situation einlassen, das bedeutet eine Stunde volle Konzentration.“

Den Bildern sieht man das enge formale und technische Korsett nicht an, sie wirken bisweilen sehr locker, keine Schnappschüsse, aber Momente, die aus dem Leben gegriffen werden. Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller hatte sich nach langer Vorarbeit bereit erklärt, wirkt etwas angespannt und spröde. Es ist ein wunderbares Porträt einer Frau, die Porträts eigentlich nicht mag. Ein Jahr habe sie bei ihr angeklopft, „immer war etwas“, und dann hatte Brandt Erfolg. Dem Filmemacher und Schriftsteller Alexander Kluge hatte sie einen Brief geschrieben und plötzlich kam der Anruf: „Ich bin todmüde, kommen Sie vorbei und heitern mich auf.“ Auch hier entstand ein fesselndes Porträt.

Brandt hat ein enges Verhältnis zu Literatur und Kunst. Gerade in der Literatur stecke eine Brisanz, der sie sich nicht entziehen könne und wolle, sie lese nicht aus Bildungshunger, „Lesen ist für mich eine Notwendigkeit“. Die Autoren, die sie fotografieren will, kennt sie bereits durch deren Werke, bevor sie sie das erste Mal in Persona sieht. Zunächst schreibt sie ihnen einen Brief, eröffnet den Kontakt, es gehe hin und her, sagt sie. Irgendwann packt sie ihren Koffer, nimmt Stativ und Kamera mit und reist mit der Bahn an. Das sei schon Teil ihres jeweiligen Projekts. Es folgen die Porträtsitzung, die Arbeit in der Dunkelkammer, die schwierige Auswahl des Motivs.

Brandt arbeitet und denkt in Serien: Für das Deutsche Historische Museum in Berlin begann sie eine Reihe von Autorenporträts, die sie mittlerweile in Eigeninitiative fortsetzt. Sie hat Künstlerporträts in Serie gemacht, fotografierte Künstler aus der Sammlung der Bonner Galeristin Dorothee Opitz-Hoffmann, die ihre Kunst der Kunstsammlung Jena geschenkt hat.

Stück für Stück vermisst Brandt fotografisch die Kulturwelt, eine sehr schöne, subjektive Bestandsaufnahme. 

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