Premiere im GOP Bonn Der Haifisch lässt die „Sailors“ grüßen

Bonn · Das GOP entführt „Sehleute“ in der neuen Show „Sailors“ in eine raue Hafenbar der 1920er Jahre. Das ist trotz aller Verruchtheit jugendfrei. Und ziemlich temporeich.

Rasant und gerne auch mal rau geht es zu, wenn die „Sailors“ so richtig loslegen.

Rasant und gerne auch mal rau geht es zu, wenn die „Sailors“ so richtig loslegen.

Foto: Meike Böschemeyer

Der letzte Abend an Land kann schon mal etwas deftiger ausfallen. Fernweh und Heimweh reichen sich die Hände, bevor die nächste Heuer Seeleute an Bord ruft. Träume und Illusionen gehen im Alkohol baden. Die Liebe fordert ihren Tribut und der billige Fusel auch. Die Welt schwankt wie ein Hochseeschoner und das Leuchtfeuer weist auch keinen Weg mehr durch den Küstennebel.

Die wilden Geschichten aus den einschlägigen Hafenbars zwischen Hamburg und Haiti sind Legende. Kaum einer hat sie derart filigran zu Papier gebracht wie Joachim Ringelnatz (1883 bis 1934) mit seiner Kunstfigur Kuttel Daddeldu. In der neuesten Showproduktion „Sailors“ des Bonner GOP-Varietés führt der Bremer Conférencier Dirk Langer alias Nagelritz den alten Ringelnatz stets auf den Lippen. „Wenn uns der Haifisch beim Wickel kriegt – das müsste mal einer malen!“, zitiert er bei der Premiere am Freitagabend im Matrosenoutfit mit der Quetschkommode auf dem Schoß aus Ringelnatz‘ „Semannsgedanken übers Ersaufen“.

Joachim Ringelnatz‘ Herr Nagelritz als Conferencier

Aber Nagelritz ist, wie der Name der Show bereits erwarten lässt, nicht allein. Der Rhein hat einen ganzen Haufen schlacksiger Leichtmatrosen ebenso landeinwärts nach Bonn gespült wie einen bärenstarken vollbärtigen Kapitän und eine kichernde Damenrunde des horizontalen Gewerbes. Man trifft sich in einer urigen Seemannsspelunke, die Sebastian Drozdz (Bühnenbild) mit allerlei maritimen Wimpeln, Schildern und Rettungsringen liebevoll ausstaffiert hat. Angesiedelt ist sie, das lassen die aufputschende Fiddle-Musik und die französischen Satzfetzen erahnen, irgendwo an der kanadischen Atlantikküste und vorsichtshalber wie Ringelnatz‘ launige Gedichte in den 1920er Jahren. Manches, was hier in gut zweieinhalb Stunden Programm passiert oder angedeutet wird, gilt kritischen Geistern anno 2023 schließlich nicht mehr als politisch korrekt. Jugendfrei ist das Programm trotzdem.

Nüchtern betrachtet ist „Sailors“ eine klassische Nummernrevue der Varieté-Industrie. Die zumeist auf den einschlägigen Zirkusschulen in Montreal und Quebec City ausgebildeten Artisten jonglieren behände mit Zigarrenkisten (Francis Gadbois), kollern im Cyr-Wheel über die Bühne (Gabriel Drouin), balancieren am Chinese Pole (Coen Clarke und James Holt) oder mit Leitern auf dem heftig wie der Atlantik schwankenden Schappseil (Guillaume Fontaine). Andy Giroux wuchtet abwechselnd Fässer, Ankerhaken oder das Bühnenpersonal durch die Luft.

Dynamisch geknüpftes Seemannsgarn

So oder so ähnlich hat man das alles schon einmal gesehen. Aber Drouin und Gadbois, die auch das Konzept und die Regie für die 2020 entstandene Show beisteuerten, knüpfen die einzelnen Auftritte dynamisch zu einem einzigen großen Seemannsgarn, wie es auch der ebenfalls aus Montreal stammende Cirque du Soleil in seinen Shows immer wieder macht. Der Anfang gestaltet sich etwas zäh, wie es mancher Kneipenabend so an sich hat. Nach der ersten Viertelstunde nimmt das Geschehen dann aber zusehends Fahrt auf. In einem Augenblick fliegen Bierflaschen in wilder Jonglage durch die Luft. Im nächsten balanciert jemand auf schwankenden Planken und Caroline Baillon, Alex Paviost und Alexanne Plouffe tanzen den Matrosen vorsichtigen Schrittes buchstäblich auf den Köpfen herum. Vieles passiert auch gleichzeitig.

Im Hinterzimmer gibt es ein wildes Bettgeflüster mit wilder Fußjonglage, und mit einer kunstvoll choreografierten Kneipenschlägerei mit gewagten Sprüngen durch Rettungsreifen, Handständen und Balance-Akten erreicht der Abend seinen Höhepunkt. „Der Zeh schwimmt in der See“, klagt Nagelritz im anschließenden Katzenjammer. „Der Rest ist im Hai. Bye-Bye.“

Sicherer Hafen für zwei Monate in Bonn

Die Idee für den Abend sei den beiden Regisseuren an einem durchzechten Abend in München gekommen, ist zu hören. Drouin und Gadbois erzählen mit „Sailors“ auch vom Artistenleben immer auf Achse und an den meisten Feiertagen fern der Familie. Es ist ähnlich wie auf See. Mal surft man mit der Welle. Mal taucht man tief ab ins Wellental, wo der Haifisch grinst. Zum Glück haben die Künstler der aktuellen Produktion, die bereits vor der Pandemie 2019 entstanden war, nun für die kommenden zwei Monate in Bonn einen sicheren Hafen gefunden. Mit „Sailors“ servieren sie auch weniger sturmerprobten „Sehleuten“ im Publikum ein maritim zirzensisches Vergnügen ganz ohne Seekrankheit.

„Sailors“ läuft bis 30. April mittwochs bis sonntags. Mehr Infos unter www.variete.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Neue Musik zwischen Wohnwagen
Beethoven Orchester im BaseCamp Neue Musik zwischen Wohnwagen
Zum Thema
Aus dem Ressort
Der Tod im Rheinland
Ausstellung im LVR-Landesmuseum Bonn Der Tod im Rheinland