"77Beethoven" im Künstlerforum Geschöpfe fremder Welten

Bonn · Gedankenexperiment um die Raumsonde Voyager: In „77Beethoven“ der Bonner Tanzkompanie „bo komplex“ kommen Außerirdische mit Beethoven und der Menschheit in Kontakt.

 Ein Auszug aus der Choreographie „77Beethoven“.

Ein Auszug aus der Choreographie „77Beethoven“.

Foto: Thomas Kölsch

Der große, helle Raum des Künstlerforums erscheint geradezu ideal für einen galaktischen Ausflug. Als 1977 die Raumsonde Voyager ins Weltall geschickt wurde, hatte sie neben wissenschaftlichen In­strumenten die „Golden Record“ im Gepäck, eine mit einer Goldschicht überzogene Datenplatte mit Informationen über den Planeten Erde, Grußbotschaften in vielen Sprachen und Musik. Darunter den ersten Satz von Beethovens 5. Sinfonie und den 5. Satz aus seinem Streichquartett Nr. 13 B-Dur op. 130.

Die Bonner Tanzkompanie „bo komplex“ hat sich gefragt, was wohl passieren würde, wenn diese Platte tatsächlich von Wesen einer Zivilisation am Rande unseres Sonnensystems gefunden würde. Ihr Stück „77Beethoven“ entstand im Rahmen von BTHVN2020 und wurde nun endlich im Künstlerforum Bonn uraufgeführt. Die auf die hohen weißen Wände projizierten 3D-Animationen der Videokünstlerin Lieve Vanderschaeve bringen stilisierte Schrauben zum Tanzen, wie wir sie von unseren elektronischen Geräten kennen. Im Bühnenbild von Ansgar Borody werden riesige Stellwände von vier Figuren in langen blauen Mänteln hin- und hergeschoben, gekippt und in wechselnden Konstellationen wieder aufgestellt.

Fremden Wesen und  dynamische Rhythmen

In der Choreografie von Bärbel Stenzenberger bewegen sich die fremden Wesen zu den dynamischen Rhythmen der jazzigen Klängen der Musik von Markus Schinkel wie ferngesteuerte Roboter. Bis sie plötzlich einen riesigen weißen Ballon finden und auf die Bühne rollen. Dem entsteigt ein Mensch im taubenblauen Anzug. Der hochgewachsene Tänzer Pascal Sangl versucht mit einladenden Gesten, die Kommunikation mit den Geschöpfen des fremden Sterns aufzunehmen. Mit dem nun in schwarzen Overalls tanzenden Ensemble beginnt ein eindrucksvolles Spiel um Annäherung und Abstoßung, Verständigung und Unsicherheit. Beethovens berühmtes „Schicksalsmotiv“ taucht auf, auch andere Töne von der „Golden Record“ mischen sich ein. Der musikalische Leiter Markus Schinkel am Piano und seine Band mischen zunehmend Gefühlsmomente in das Klanggewebe. Ist es Aggression oder Freundlichkeit, wenn der Erdenmensch die Reißverschlüsse an den Kostümen der Außerirdischen öffnet und fleischfarbene Stofffetzen herauszieht? Sind sie ihm ähnlicher als vermutet? Quasi unsere Brüder und Schwestern aus den Weiten des Universums?

Das Licht wird jedenfalls wärmer, die Körper agieren biegsamer bis hin zu einem fast akrobatisch kraftvollen männlichen Pas de deux. Und dann tritt die junge Violinistin Clara Wedel in den Kreis der neuen Gemeinschaft und spielt die Cavatine aus Beethovens Streichquartett: ganz pur und wunderschön. Nach einer spannenden Stunde die Vision einer grenzenlosen Gesellschaft. Ohne aufdringliches Pathos mit einer kräftigen Prise Selbstironie. Voyager 1 ist mittlerweile das am weitesten gereiste von Menschen geschaffene Objekt des Universums. Nach vier ausverkauften Vorstellungen sind weitere Termine von „77Beethoven“ noch nicht geplant.

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