Emscherkunst 2016 Kunst am Fluss

Castrop-Rauxel · Ausflugstipp: Mit dem Fahrrad entlang der Emscher im Ruhrgebiet - Zwei Dutzend Kunstwerke und eine Nacht im Blockhaus, in "Warten auf den Fluss"

 „Warten auf den Fluss“ heißt dieses Kunstwerk, in dem man auch übernachten und essen kann.

„Warten auf den Fluss“ heißt dieses Kunstwerk, in dem man auch übernachten und essen kann.

Foto: Kliemann

Am Abend macht sich Lagerfeuerromantik breit: Wir sitzen auf rohen Holzplanken, im Hintergrund gluckert die Emscher vorbei, und irgendwo in einem toten Flussarm bereiten sich die Frösche auf ihr Platzkonzert vor. Es wird diese laue Vollmondnacht mit einer atemberaubenden Sinfonie der Tausend füllen. Wir sind in der Nähe von Castrop-Rauxel mitten im Ruhrgebiet. „Warten auf den Fluss“, heißt die Lokalität, ein Kunstwerk, in dem wir sitzen, lauschen und bald ein von Marja Zomer aus Rotterdam zubereitetes, sehr leckeres vegetarisches Menü zu uns nehmen werden. Zomer ist Malerin. Sie war schon dabei, als „Warten auf den Fluss“ 2010 im Rahmen der Emscherkunst erstmals von der niederländischen Gruppe „Observatorium“ aufgebaut wurde: Ein Ensemble aus einfachen, kubischen Holz-Pavillons und verbindenden Brücken, auf denen man sitzen, liegen, spazieren und essen kann. Es gibt spartanische, aber sehr gemütliche Schlaf-Pavillons mit traumhaftem Ausblick, eine einfache Sanitär-Zelle, eine Küche und eine Bibliothek. Was braucht man mehr?

2010 gehörte die Malerin Zomer zum Aufbauteam, drei Jahre später hatte sie die Idee, quasi als Herbergsmutter gemeinsam mit Besuchern auf den Fluss zu warten. 2016 setzte sie nun diese Idee um, schipperte mit ihrem Hausboot, dem Fischkutter „UK 120“ von Rotterdam Richtung Ruhrgebiet und ging unweit der Brücke an einem Kai des Rhein-Herne-Kanals vor Anker. Das exzellente vegetarische Essen, das sie den glücklichen Emscher-Kunstreisenden serviert, die einen (über Zomer buchbaren) Schlafplatz in einem der Pavillons ergattern konnten, bereitet sie unweit des Kunstensembles in einem ehemaligen Veltins-Imbiss zu.

Rund 60 Kilometer haben wir in den Knochen. Am Vormittag waren wir in Holzwickede östlich von Dortmund am malerischen Emscherquellhof mit den Leihfahrrädern aufgebrochen. Hier, am Hof, stehen Ai Weiweis Zelte, wo man auch übernachten kann. Weniger Komfort, dafür echtes Pfadfinderflair.

Der Emscherquellhof ist der ideale Einstieg zum Kunstparcours Emscherkunst 2016, auf dem bis Mitte September entlang der Emscher rund zwei Dutzend Kunstwerke besichtigt werden können. Kunst und viel, viel mehr. Wer ist schon einmal in Huckarde und Mengede gewesen, wer durch Ickern und Pöppinghausen geradelt? Der Weg führt durch kleine Wäldchen entlang der idyllisch renaturierten Emscher, die bis in die 1990er Jahre als stinkige Kloake des Ruhrgebiets die Industrieabwässer abtransportierte. Der Parcours führt aber auch vorbei an Schrebergärten mit türkischen und deutschenFahnen in trauter Nachbarschaft und grauen Vorstadtsiedlungen. Und dann einmal quer durch Dortmund, schließlich zur Kokerei Hansa nach Castrop-Rauxel und in den Stadthafen von Herne/Recklinghausen.

Dort, wo die Luft einst besonders schlecht war und im Hochofenwerk Phoenix in Dortmund-Hörde Stahl gekocht wurde, erstreckt sich jetzt der Phoenix-See. Wenig charmante, stromlinienförmig durchdesignte Architektur umsäumt den künstlichen See und das neu entstandene Naherholungsgebiet. Benjamin Bergmann hat an diesen gesichtslosen Teich einen originalen Souvenirstand aus Venedig gestellt, was vorzüglich passt. Nicht weit davon entfernt die „Urban Space Station“ von Natalie Jeremjenko, die geschickt Ästhetik und Kunst mit Gedanken der ökologischen Nachhaltigkeit verknüpft. Reiner Maria Matysik lässt in Abständen unweit einer futuristischen Behausung in seiner „Cloud Machine“ Wolken entstehen, die über den See ziehen. Erik van Lieshout ist auf der künstlichen Insel mitten auf dem Phoenix-See auf Recherchetour gegangen und zeigt den Film am Ufer.

Der Weg geht weiter ins Dortmunder Unionsviertel mit Installationen von Studenten der Kunstakademie Münster, mit Thomas Zielonys herrlichem Film über einen tamilischen Fußballclub in Dortmund und – jenseits des offiziellen Emscherkunst-Programms – einem Abstecher ins unbedingt sehenswerte Dortmunder DFB-Museum. Hier herrscht die Pluralität, die ansonsten einer klaren Parteinahme für den BvB geopfert wird: Wir radeln durch Borussia-Land, „Schalke jagen!“ lautet ein eher harmloses Graffiti am Rande.

In der monströsen, faszinierenden Kokerei Hansa läuft ein tolles Ruhrgebiets-Drama auf Video der Gruppe M + M mit der hinreißenden Feo Aladag als Schauspielerin. Auf dem Areal des Hochwasserrückhaltebeckens der Emscher stehen die martialischen Wellenbrecher der Künstlerin Nevin Aladag, wenige Schritte davon entfernt hat Mark Dion sein ornithologisches Forschungszentrum eingerichtet, eine begehbare Röhre, die Dion als urbritischen Gentlemen's Club eingerichtet hat. Wir treffen auf Tadashi Kawamatas Holzturm und Bogomir Eckers witzige, sehr instabil wirkende Stele mitten im Gewässer vor der Schleuse Herne Ost.

Diese Impressionen schwirren durch den Kopf, während wir uns in die Schlafkojen kuscheln. Morgens bleibt nicht viel Zeit, das von Marja Zomer zubereitete Frühstück zu genießen. Rund 90 Kinder aus der zweiten Grundschulklasse kommen zum Malen in das Pavillonensemble. Lassen sich erklären, wie hier die Emscher ihr Bett zurückbekommt. Warten auf den Fluss.

Emscherkunst 2016; bis 18. September. Ausführliche Informationen: www.emscherkunst.de. Dort können auch Fahrräder und Übernachtung gebucht werden

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