Interview mit Katastrophenschützer Wolfram Geier „Die Bevölkerung muss sensibilisiert werden“

Bonn · „Wir brauchen eine Auseinandersetzung mit dem Thema Starkregen in Deutschland“, sagt Wolfram Geier. Viele kleine Gemeinden, Dörfer und Kleinstädte seien auf diese Ereignisse, die in der Vergangenheit ganz selten auftraten, nicht vorbereitet, so der Abteilungsleiter für Risikomanagement im Bonner BBK.

 Enorme Wassermassen in kürzester Zeit: Ein Luftbild von Ahrweiler.

Enorme Wassermassen in kürzester Zeit: Ein Luftbild von Ahrweiler.

Foto: Benjamin Westhoff

Herr Geier, ist der Katastrophenschutz in Deutschland auf solche Unwetterereignisse vorbereitet?

Wolfram Geier: Grundsätzlich ist der Katastrophenschutz in Deutschland auf Hochwasserlagen gut vorbereitet. Ein normales Hochwasser, wie wir es etwa vom Rhein kennen, baut sich in der Regel über einen längeren Zeitraum auf. Es gibt also Vorwarnzeiten, in denen man die Einsatzeinheiten in Bereitschaft setzen kann. Seit einigen Jahren haben wir es aber mit Starkregenereignissen zu tun, bei denen kleinräumig in kürzester Zeit sehr viel Wasser fällt. Diese Woche war das sogar großräumig der Fall. Das hat etwas mit dem Klimawandel zu tun und mit der Erderwärmung. In diesem Fall kam auch noch eine besondere Wetterlage hinzu. Dann schwellen zum Teil kleine Bachläufe und kleinste Rinnsale an wie ein großer Fluss. Und auch die kleineren und mittleren Flüsse bauen eine enorme Dynamik und physische Kraft auf. Für solche Fälle sind wir noch nicht richtig aufgestellt.

Die Katastrophenschützer wurden von dieser Situation also überrascht?

Geier: Viele kleine Gemeinden, Dörfer und Kleinstädte sind auf diese Ereignisse, die in der Vergangenheit ganz selten auftraten, nicht vorbereitet. Sie kennen das übliche Hochwasser, wenn der Fluss mal über die Ufer tritt und ein paar Keller volllaufen. Aber das, was wir jetzt erlebt haben, war eine extrem außergewöhnliche Lage. Weil solche Extremlagen seit ein paar Jahren aber insgesamt häufiger auftreten, brauchen wir eine Auseinandersetzung mit dem Thema Starkregenereignisse in Deutschland. Wie bereitet man sich darauf vor? Welche Informationen müssen vor Ort an die Bürgerinnen und Bürger gegeben werden? Kann man die Kraft des Wassers möglicherweise durch Eingriffe in die Landschaft, also die Renaturierung von kleineren Fließgewässern, mindern? Muss man verstärkt Regenrückhaltebecken bauen? Das sind alles Fragen, die sich im Bereich des vorbeugenden Hochwasserschutzes stellen.

Die Prävention muss also deutlich besser werden.

Geier: Für solche Ereignisse muss man künftig in den Kommunen sogenannte Starkregenkarten erstellen. Das heißt, man muss auch die kleinen Gewässer kartieren und schauen, wie hoch das Risiko gegebenenfalls ist. Das ist ganz wichtig. Für die Hochwasser an den großen Flüssen gibt es das seit einigen Jahren. Für die kleinen Rinnsale und Bachläufe aber noch nicht.

Aber man wusste doch, dass ein Unwetter aufzieht. Haben die Warnungen nicht ausgereicht?

Geier: Warnungen durch den Deutschen Wetterdienst und auch durch die Warn-App Nina und andere Kanäle hat es ja gegeben. Die Menschen wussten, dass eine extreme Wettersituation aufzieht und dass es sie treffen kann. Starkregenereignisse kann man aber bislang vorher nie genau lokalisieren. Es kann sein, dass es in einer Ortschaft nur regnet oder nieselt, und in einer anderen, die Luftlinie vielleicht nur fünf oder sechs Kilometer entfernt liegt, extreme Wassermassen herunterkommen. Diese Woche ist aufgrund der besonderen meteorologischen Lage sogar flächendeckend unheimlich viel Wasser heruntergekommen. Insofern denke ich, dass viele Menschen die Wetterwarnungen deutlich unterschätzt haben.

Hätte das BBK nicht eindringlicher warnen können?

Geier: Katastrophenschutz ist Ländersache. Das ist verfassungsmäßig so aufgeteilt, der Bund kann nur helfen und die Länder bei ihrer Aufgabe unterstützen. Wir, das BBK, haben schon vor Jahren die Warn-App Nina etabliert, darüber sind jede Menge Informationen und Warnungen herausgegangen. Das ist der Beitrag, den wir leisten können. Auch der Deutsche Wetterdienst DWD, der auch eine Bundesbehörde ist, hat entsprechend gewarnt. Aber die Bevölkerung muss dafür sensibilisiert werden, dass solche Starkregenereignisse wahrscheinlich auch in Deutschland in Zukunft öfter auftreten werden und nicht nur in anderen Regionen der Welt. Die Menschen müssen also lernen, schnell handlungsfähig zu sein und sich selber zu schützen, wenn ihr Wohnort von einer Starkregenwarnung betroffen ist.

Was meinen Sie damit?

Geier: Wie empfehlen zum Beispiel, nicht mehr in den Keller zu laufen, wenn das Wasser schon hereinfließt. Auch Autos aus Tiefgaragen fahren zu wollen, ist unklug, weil diese schnell volllaufen und zur tödlichen Falle werden können. Man kann vorsorglich die Elektrizität im Haus abstellen und wichtige Dinge aus dem Keller im Vorfeld sichern. Man kann Stellen am Haus, an denen Wasser eindringen könnte, mit Sandsäcken sichern, oder langfristig schützen, indem man offene Kellerschächte abdichtet, Kellerfenster höherlegt oder mit wasserdichtem Glas versieht. Wir als BBK empfehlen außerdem Vorräte zur Eigenversorgung zu haben, also Trinkwasser, die nötigsten Lebensmittel und ein batteriebetriebenes Radio, um an Informationen zu kommen, wenn kein Netz funktioniert. Und wenn die Menschen alle gut ausgebildet wären in medizinischer Erster Hilfe, dann wäre das noch ein dickes Plus obendrauf, damit sie in Gebieten, die die Hilfskräfte nicht direkt erreichen können, Erste Hilfe leisten können.

Aus Ihrer Sicht liegt die Vorsorge also bei den Bürgerinnen und Bürgern und nicht bei den Behörden?

Geier: Jede Bürgerin und jeder Bürger hat auch die Pflicht, sich selbst und sein Eigentum zu schützen. Die Behörde muss Gefahreninformationen zur Verfügung stellen und dafür sorgen, dass die Bevölkerung sie erhält. Da würde ich mir noch ein deutlich offensiveres Vorgehen von lokalen Behörden wünschen. In Bonn oder Köln, wo der Rhein in den vergangenen Jahrzehnten regelmäßig über die Ufer getreten ist, sind die Menschen auf Hochwasserlagen relativ gut vorbereitet. Aber für solche Starkregenereignisse müssen die Behörden vor Ort und die Politik die Bürgerinnen und Bürger viel mehr sensibilisieren und auch selber sensibilisiert sein. Die nötigen Informationen gibt es vom Deutschen Wetterdienst, der Warn-App Nina oder den Hochwasserportalen der Länder.

Und was ist da die Rolle des BBK?

Geier: Wir sind so etwas wie ein Moderator im Gesamtkonzert aller Akteure. Wir forschen zu dem Thema oder koordinieren in unserem Gemeinsamen Melde- und Lagezentrum (GMLZ) hier in Bonn Hilfe für die Katastrophengebiete, allerdings immer in Zusammenarbeit mit der jeweiligen Landesbehörde, die für den Katastrophenschutz formal zuständig ist.

Jetzt ist der Katastrophenfall eingetreten. Wie ist da das Vorgehen?

Geier: In Deutschland wird der Katastrophenfall durch den Landrat oder die Oberbürgermeisterin einer kreisfreien Stadt ausgerufen. Dann werden alle Einheiten des Katastrophenschutzes in Alarmbereitschaft versetzt und in das Schadensgebiet beordert, also Feuerwehr, Rotes Kreuz, Johanniter, Arbeiter-Samariter-Bund, Malteser. Der Bund kann Amtshilfe leisten und das Technische Hilfswerk, die Bundeswehr oder die Bundespolizei zur Unterstützung schicken. Die Kräfte, die der Krisenstab des Landrats benötigt, übernehmen dann zum Beispiel auch die Evakuierungsaufgaben. Da wir zurzeit eine Lage haben, die die am schwersten betroffenen Gebiete alleine nicht regeln können, ist auch überörtliche Hilfe aus anderen Landkreisen und anderen Bundesländern unterwegs.

Wie geht es jetzt weiter?

Geier: Noch immer müssen vermisste Menschen gefunden und hoffentlich lebend gerettet werden. In den ersten Gebieten, die höher liegen, beginnt man teilweise schon damit aufzuräumen und die Infrastruktur wieder herzustellen. Das wird lange dauern. An anderen Orten wie etwa der Steinbachtalsperre ist man weiter in höchster Alarmbereitschaft. Dort kann man nur hoffen, dass der Damm hält. Ansonsten könnte es jetzt noch brenzlig werden für die größeren Flussläufe, der Rheinpegel und der Moselpegel steigen. Dort muss man sich jetzt vorbereiten, auch wenn es derzeit nicht so aussieht, als ob es zu Extremständen kommen wird. Aber nichtsdestotrotz wird es Überflutungsgebiete geben. Am schlimmsten ist die Lage natürlich in den Gebieten, in denen es diese wahnsinnige Zerstörung durch die Gewalt des Wassers gegeben hat. Das wird eine enorme große Herausforderung sein, alles wiederherzustellen und den betroffenen Menschen ein Gefühl von Sicherheit zu geben.

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