Ausbruch ist irgendwann Realität Vulkane brodeln unter den Touristen in der Eifel

Special | Eifel · Immer wieder rumpelt es in den Tiefen der Eifelkruste, aber meist ohne Schäden an der Erdoberfläche. Das wird noch lange so bleiben, vermuten Wissenschaftler. Sicher ist aber auch: Ein vulkanisches Horrorszenario, wie es ein RTL-Katastrophenfilm vor zwölf Jahren zeigte, wird einmal Wirklichkeit werden.

  Das Schalkenmehrener Maar  ist eines von zehn Maaren, die noch mit Wasser gefüllt sind. Was von vulkanischen Katastrophen verursacht wurde, ist heute ein touristischer Magnet.

Das Schalkenmehrener Maar ist eines von zehn Maaren, die noch mit Wasser gefüllt sind. Was von vulkanischen Katastrophen verursacht wurde, ist heute ein touristischer Magnet.

Foto: picture alliance/dpa/Thomas Frey

Auf der A61 geht nichts mehr. Zu viele Menschen flüchten gleichzeitig. Stunden zuvor ist Mendig von einem Starkregen aus Asche und Lava zerstört worden. Großes Gedränge auf den Flughäfen im Rheinland. Doch die Flieger müssen am Boden bleiben, weil man wegen der mit Asche und Staub angefüllten Atmosphäre noch nicht einmal auf Sicht fliegen kann. Und an Vater Rhein hat niemand in diesem Worst-case-Szenario gedacht: Die durchs Brohltal fließende Gesteinsglut strömt in den Fluss, erkaltet und bildet eine Staumauer. Nach einer Woche steht der Frankfurter Flughafen einen Meter unter Wasser.

Ein solches Desasterszenario ist beliebt, wenn es gilt, mit dem gewissen Thrill viel Aufmerksamkeit für die etwas andere Geschichte hinter der Eifel-Idylle zu erzeugen. Die ist geprägt von friedlichen Seen mit Tretbooten, von zufriedenen Erholungssuchenden mit Wanderstock, von Metzgern, die noch selbst schlachten – und von gelegentlich vorbeischauenden Forschern mit Messgeräten. Der zweiteilige RTL-Katastrophenfilm „Vulkan“, am 18. und 19. Oktober 2009 ausgestrahlt, erzielte einen Marktanteil von bis zu 20,6 Prozent und spielt in Lorchheim alias Bad Münstereifel.

In 180 Minuten wird eine Geschichte erzählt, die mit aus dem Laacher See austretenden Gasbläschen beginnt, verharmlosende Politiker zeigt, die Forscherwarnungen in den Eifelwind schlagen, und mit einer kolossalen Vulkaneruption endet – eine, die man sonst nur aus den Fernsehnachrichten kennt, wenn auf dem pazifischen Feuerring die kegelförmigen Berge wieder einmal Feuer, Asche und Gasfontänen spucken. Vor allem aber eine, die sie sich vor 12.950 Jahren real schon einmal ereignete und die Kraft von 500 Hiroshima-Bomben entfaltete.

Vor zwölf Jahren   fesselte der zweiteilige RTL-Katastrophenfilm „Vulkan“ mehr als zehn Millionen Zuschauer.

Vor zwölf Jahren fesselte der zweiteilige RTL-Katastrophenfilm „Vulkan“ mehr als zehn Millionen Zuschauer.

Foto: RTL/Willi Weber/RTL

Es war der stärkste Vulkanausbruch in Europa in den letzten 100.000 Jahren, sogar sechsmal stärker als der des Mount Saint Helens 1980 und nicht weniger stark und explosiv als der 1991 eruptierte Pinatubo auf den Philippinen, dessen ausgeschleuderte Schwefelpartikel fortan für zwei Jahre das Erdklima kühlten. Eine 400 Grad Celsius heiße Glutlawine raste damals mit Tempo 100 durch das Brohltal. Das ausgeworfene Material lässt sich bis heute in Südschweden und Norditalien aufspüren.

Fakt ist: Unter den Spaziergängern in der Eifel brodelt der Laacher-See-Vulkan

Nur: Was war 10.930 vor Christus? Die Weltbevölkerung zählte gerade einmal rund drei Millionen; so viele Menschen werden heute in 13 Tagen geboren. Die Jäger- und Sammlerkultur flirtete mit der Sesshaftigkeit und einem Ackerbauern-Dasein. Aber vor allem lebten die wenigen Menschen damals am Ende der letzten Kaltzeit. Die Eifel war alles andere als dicht besiedelt, und Naturhistoriker vermuten, dass fleischhungrige Menschengruppen durch die Eifel streiften, um mit der Speerschleuder „Elefanten mit Fell“ – Mammuts – zu jagen. Mancher brutzelte sich am Lagerfeuer unterm Sternenzelt ein Mammutsteak. Und Wollnashörner gab es auch. Archäologische Befunde und andere Fakten legen nahe, sich die Eifel damals als eine Region vorzustellen, in der ein Mensch selten einem anderen begegnete.

Fakt ist jedoch auch: Unter den Tretbootfahrern und Tages-Spaziergängern brodelt es immer noch. Das undurchsichtige Geschehen im Untergrund und die Möglichkeit, dass ein erneuter fulminanter Ausbruch des Laacher-See-Vulkans mehr als Science-Fiction ist, inspiriert nicht nur die Dramaturgen von Katastropenfilmen, sondern stimuliert auch Geophysiker und Vulkanologen. Die aktuelle Bevölkerungsentwicklung berichtet indes von „weiter dünn besiedelt“. Es wird mehr gestorben als geboren. Dennoch wächst die Eifelbevölkerung unterm Strich, weil die rheinischen Städter zwischen Düsseldorf, Köln und Bonn den Dauerstau, die Parkplatzsuche und die allgemeine Enge leid sind. Deshalb steigen auch in manchem Eifelweiler die Immobilienpreise. Eine Fehlinvestition, wegen Vulkangefahr? Keineswegs, denn geologische Zeit ist etwas anderes als Menschenzeit. „In der Osteifel kam es während der letzten 450.000 Jahre durchschnittlich alle 5000 bis 10.000 Jahre zu einem Vulkanausbruch“, sagt das rheinland-pfälzische Landesamt für Geologie und Bergbau. Seit Tausenden Jahren schnarcht der Riese im Untergrund jedoch, und es lässt sich trefflich darüber streiten, ob man den vulkanischen Schlaf als REM-Phase oder besser als Wachkoma bezeichnet.

Darum geht es: Sind die aufsteigenden Gasbläschen im Laacher See, die Hebungsprozesse der Region oder die Tiefenbeben in der Eifelkruste harmlose Erscheinungen oder Vorboten größeren Unheils? Nach Durchschnittswert wäre eine Eruption überfällig. Aber Statistik ist knifflig. „Ein Super-GAU in 10.000 Jahren“ ist die Faustregel für Atomkraftwerke. Tschernobyl und Fukushima haben gelehrt, dass das auch bedeuten kann: zwei Mal in 25 Jahren.

Ein Jahrtausendausbruch des Laacher-See-Vulkans steht nicht bevor

Der Vergleich hinkt, weil die geologischen Prozesse völlig autonom und ohne den Risikofaktor Mensch ablaufen. Das Geblubber und Gebrodel zum Beispiel, diese Kohlendioxid-Exhalationen, die „Mofetten“ heißen, deuten einige Forscher als „kalten Atem eines sterbenden Vulkans“, andere als lebenden Vulkanismus. Anders als gelegentlich in Medien sensationsheischend gemutmaßt, steht jedoch ein Jahrtausendausbruch wie 10.930 vor Christus nicht unmittelbar bevor. Das ist Konsens.

Im Fokus der Neugier steht seit mehr als 20 Jahren der Eifel-„Plume“ (das Wort stammt aus dem Französischen und bedeutet „buschige Feder“ oder „Rauchfahne“; ausgesprochen wird es englisch). Anders als in den meisten Fällen weltweit liegt die Erd­beben- und Vulkanzone „Eifel“ nicht an einer Randzone großer tektonischer Platten, die sich reiben, Druck aufbauen, brechen und Erdbeben auslösen, sondern mitten unter einer Kontinentalplatte. Als Plume gilt ein (wie eine buschige Feder geformtes, siehe Bild) Magma-System im Erdmantel mit einer großen Kammer, in die geschmolzenes Gestein in „Schläuchen“ aufsteigt.

Der legendäre Eifel-Plume: Nahe an der Oberfläche liegt die Magmakammer, die beim letzten großen Knall vor 12.500 Jahren rund 30.000 Jahre brauchte, um von ihren Zuflüssen gefüllt zu werden.

Der legendäre Eifel-Plume: Nahe an der Oberfläche liegt die Magmakammer, die beim letzten großen Knall vor 12.500 Jahren rund 30.000 Jahre brauchte, um von ihren Zuflüssen gefüllt zu werden.

Foto: SWR/Grafik

Noch 1997 war der Mantel-Plume nur ein Modell. Theoretische Überlegungen führten zu der Annahme, dass sich in 80 Kilometer Tiefe eine ungewöhnlich heiße Zone befindet. Die galt es aufzuspüren. Unter der Federführung des Geophysik-Professors Joachim Ritter (damals Uni Göttingen, heute Karlsruher Institut für Technologie / KIT) startete das „Eifel-Plume-Projekt“ mit zahlreichen europäischen Instituten. Damals wurde über den Vulkanfeldern für mehrere Monate mit 250 Geophonen das umfangreichste Erdbeben-Messnetz in Europa errichtet. Das Thema elektrisierte, Bild der Wissenschaft schrieb über „Die Hexenküche“. In Spektrum der Wissenschaft berichtete Ritter 1998: „Durch die gemessenen Laufzeiten der Erdbebenwellen lässt sich mit einem Verfahren, dass der Computertomografie in der Medizin entspricht (statt Röntgenstrahlen werden seismische Wellen verwendet), die dreidimensionale elastische Struktur des Untergrunds rekonstruieren.“

Im Jahr 2000 präsentierte das Forscherteam das „seismische Tomogramm“: Eine heiße Zone ziehe sich in 30 Kilometer Tiefe schlauchförmig vom Osteifel-Vulkanfeld bei Mayen nach Westen in Richtung Trier, so Ritter, die Obergrenze des rund 150 Kilometer breiten Plumes sinke bis in eine Tiefe von 300 Kilometer bis nach Lothringen. „Für das Innere des Eifel-Plumes wurden Temperaturen zwischen 1000 und 1400 Grad errechnet. Damit ist er etwa 200 Grad heißer als seine Umgebung.“ Und damit leichter und strebt nach oben.

Aus den Mineralbestandteilen von Oberflächenmaterial kombinierten die Wissenschaftler, dass sich in den letzten 600.000 Jahren immer wieder kleine Gebiete mit Gesteinsschmelzen bildeten, die bis an die Erdoberfläche aufstiegen und die rund 300 Eifelvulkane speisten. Und wenn etwas heiß ist, vergrößert es sein Volumen. Die Eifel hebt sich seit Langem, auch in Teilen das Rheinische Schiefergebirge. Die Grummel-Events im Untergrund sind geblieben, auch die aufsteigenden Gasbläschen, auch die Neugier der Wissenschaftler.

3. März 2019: Im Geophysical Journal International wird die Eifelstudie eines deutschen Forscherteams veröffentlicht. Wissenschaftler des KIT, des Helmholtz-Zentrums Potsdam, des Deutschen GeoForschungszentrums (GFZ) in Potsdam sowie der Erdbebendienste Südwest und Nordrhein-Westfalen sind beteiligt. Botschaft: Die tiefen und niederfrequenten Erdbeben in der Eifel deuten auf den Aufstieg magmatischer Fluide unter dem Laacher See. Es sind Beben, so Ritter, „die unterhalb der menschlichen Wahrnehmung“ und in zehn bis 40 Kilometer Tiefe liegen – nicht zu verwechseln mit „hoch­frequenten vulkanisch-tektonischen Erdbeben in der spröden Kruste“, schreibt das Team im Geophysical Journal. „Deep-Low-Frequency“-Beben (DLF) heißen diese Tiefen-Grummeleien im Fachsprech.

Seit 2013, als die Installation des seismologischen Messnetzwerks begann, wurden acht DLF-Serien in der Osteifel nachgewiesen – räumlich und zeitlich begrenzte Erschütterungen, „vom Laacher See aus steil nach unten in Richtung Süd­osten abfallend angeordnet“. Jede dauerte zwischen 40 Sekunden und acht Minuten, auf der Richterskala kommen sie kaum über einen Wert von 1,5 hinaus.

DLF-Beben gehören gewissermaßen zu den Alltagsregungen des Riesen. Vereinfacht: Der Eifel-Vulkanismus lebt, auch wenn er nicht Feuer und Lava spuckt. Spezialisten sprechen lieber von „Magmatismus“ – ein Begriff, der räumlich umfassender greift und nicht nur jene Stellen meint, über denen Vulkankuppen in der Landschaft stehen. Professor Torsten Dahm, Sektionsleiter Erd­beben- und Vulkanphysik am GFZ, sagt: „DLF-Beben gelten weltweit als Hinweis auf die Bewegung magmatischer Fluide in großer Tiefe. Unter aktiven Vulkanen, etwa auf Island, in Japan oder Kamtschatka, lassen sich solche Erdbeben regelmäßig beobachten.“ Jedenfalls werten Forscher ihre DLF-Messungen nicht als „unmittelbare Vorläufersignale für eine aktuell bevorstehende vulkanische Aktivität. Der Aufstieg von Magma in die flache Erdkruste geht in aller Regel mit hochfrequenten Erdbebenschwärmen einher“, so Ritter, was bisher in der Osteifel allerdings nicht beobachtet worden sei.

Laacher-See-Vulkan in der Eifel lässt Vulkanforscher nicht los

Die wissenschaftlichen Frühwarnspäher haben zudem die beim letzten großen Ausbruch vor 12.900 Jahren herausgeschleuderten Magmen datiert. Demnach kann es rund 30.000 Jahre dauern, bis die Magmakammer unter dem Laacher See vollgelaufen ist, der Druck erheblich steigt und sich in einer Eruption entlädt. Im Hinblick auf die aktuelle Gefährdungs­lage: „Außerdem fehlen Hinweise auf Hebungen der Erdoberfläche, die bei massiven Magmenaufstiegen deutlich feststellbar sein müssten“, betont Dahm. Unter „deutlich“ verstehen die Fachkräfte „Zentimeter pro Monat“ und nicht „Millimeter pro Jahr“ wie in der Eifel.

Dennoch: Die Eifel lässt Vulkanforscher nicht los. An der fernen University of Nevada in Reno (USA) hat man Messdaten von Tausenden GPS-Antennen in Westeuropa aus zwei Jahrzehnten ausgewertet. Das Team um Geophysik-Professor Corné Kreemer in Nevada glaubt, dass da etwas nicht stimmt, dass da eine Kraft von unten nach oben drückt und die Eifel-Oberfläche auseinanderdehnt. Selbst wenn das Nevada-Team die „glaziale isostatische Anpassung“ (GIA) herausrechnet, bleibt es bei dem auffälligen Befund. Die GIA wirkt weltweit und beschreibt die Landhebung, die daraus resultiert, dass die schweren Eisschilde der letzten Kaltzeit verschwinden. Ohne die Riesenlast heben sich die Landflächen, sei es in Skandinavien oder eben in der Eifel. Der Gummiball-Effekt wirkt bis heute und hebt Skandinavien um bis zu zehn Millimeter pro Jahr.

11. Mai 2020: Die Nevada-Studie wird im Geophysical Journal International veröffentlicht. „Die Eifel ist das einzige Gebiet in ganz Nordwesteuropa, indem sich der Untergrund signifikant stärker bewegt als erwartet“, schreibt Kreemer. Erwartet waren 0,1 bis 0,3 Millimeter pro Jahr, gemessen wurden 1,0. Kein anderes Gebiet in Nordwesteuropa zeige „eine solche Kombination von Hebung und Dehnung“. Die Hebungsanomalie liege direkt über dem Eifel-Plume. Es scheine klar zu sein, so Kreemer, „dass sich unter dem Herzen Nordwesteuropas etwas zusammenbraut“. Klingt dramatisch, als würde nach menschlichen Maßstäben bald etwas passieren. Ein mit der Eifel vertrauter Vulkanforscher würde das jedoch kaum unterschreiben.

Das führt zum grundsätzlichen Dilemma der Erdbeben- und Vulkanismusforschung: Zuverlässig vorhersagen lässt sich trotz immer leistungsfähigerer und sensiblerer Geräte nichts. Weder Beben noch Eruption – und Beben (noch) schlechter als Eruption. Das öffnet den Raum für Spekulationen und Fantasien. So ist die Erdbeben-Tier-Theorie nicht totzukriegen, wonach manche Kreatur eben feinere Antennen für drohendes Unheil habe als der Mensch. Es gibt erzählte Hinweise zuhauf für diese These, aber keine Beweise.

Im Eifeldorf Glees ranken sich Geschichten um einen Brunnen, der sich von Jahr zu Jahr mehr hebt, jedenfalls hebt er sich zehn Mal mehr als im Eifeldurchschnitt. Und dann gibt es da noch diesen Wissenschaftskrimi „Die Flucht der Ameisen“ aus der Feder des Essener Geologie-Professors Ulrich Schreiber. Es geht um Waldameisen, die ihre Burgen über Spalten und Risse in der Erdkruste bauen, aus denen Wärme und Edelgase und Kohlendioxid (CO2) strömen. Nicht nur in der Eifel, auch in den Alpen und im Schwarzwald reihen die Ameisenhaufen sich über den Verwerfungslinien. Schreiber hat die Theorie entwickelt, wonach die Krabbler ihre pyramidenartigen Kolonien kurz vor seismischen oder vulkanischen Aktivitäten verlassen, weil sich dann die Gasmischung ins (für sie) Tödliche ändere. Rückt Magma vor, tritt mehr giftiger Schwefelwasserstoff aus, der die Insekten umbringe. Das mit den Ameisen bleibt jedenfalls spannend.

Wir wollen wissen, was Sie denken: Der General-Anzeiger arbeitet dazu mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Wie die repräsentativen Umfragen funktionieren und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort