Gespräch am Wochenende Wie es ist, an Heiligabend Geburtstag zu haben

Interview | Bornheim-Widdig · Eine Geburtstagsfeier mit bis zu 100 Gästen und 200 Pferden: Gestütinhaberin Peggy Schönenstein aus Widdig feiert am Morgen des heiligen Abends ihren 60. Geburtstag. Wie es ist, ein „Christkind“ zu sein und warum sie froh ist, ihr Leben wieder zu haben, erzählt sie im GA-Interview.

 Am 24. Dezember geboren: Peggy Schönenstein füttert die Ziegen auf ihrem Gestüt Aluta in Bornheim-Widdig.

Am 24. Dezember geboren: Peggy Schönenstein füttert die Ziegen auf ihrem Gestüt Aluta in Bornheim-Widdig.

Foto: Petra Reuter

Peggy Schönenstein ist ein „Christkind“: Sie wird am 24. Dezember 60 Jahre alt und feiert ihren Geburtstag am Morgen des Heiligen Abends mit bis zu 100 Gästen auf ihrem Gestüt Aluta in Bornheim-Widdig. Wie hart es für sie als Kind war, an diesem besonderen Datum Geburtstag zu haben und warum sich die Berufsreiterin trotz mehr als 100 erlittener Reitunfälle und jahrzehntelanger Schmerzen als „Glückskind“ bezeichnet, darüber sprach sie im Interview mit GA-Redakteurin Antje Jagodzinski.

Wie ist es, am 24. Dezember Geburtstag zu feiern? Ist es eher Fluch oder Segen?

Peggy Schönenstein: Beides. Eigentlich ist es in all den Jahren, seitdem ich volljährig bin, mein arbeitsreichster Tag. Seit meinem 18. Lebensjahr gibt es hier im Betrieb jeden Morgen einen Brunch und Sektumtrunk mit 70 bis 100 Gästen, und dann bereiten wir mit der Familie gemeinsam den Heiligabend vor, mit Omas, Kindern, Schwiegerkindern und Enkelkindern, dann ist das Haus voll.

Wie war es für Sie als Kind?

Schönenstein: Meine Eltern haben es immer so gehalten, dass Geburtstag und Weihnachten streng getrennt wurden. Morgens wurde mein Geburtstag gefeiert und abends der Heiligabend mit der Familie. Als Kind hieß das aber: keine Freunde einladen.

Und jetzt haben Sie schon morgens so viele Gäste...

Schönenstein: Ja, durch den Pferdebetrieb gehen hier so 200 Leute ein und aus, und die meisten kommen dann gratulieren. Die letzten Jahre ging es natürlich nicht mit einer Feier wegen Corona. Aber, das fand ich ganz süß, die Leute aus dem Stall haben mir trotzdem ein Geschenk überreicht, also mein Geburtstag wurde eigentlich nie vergessen.

Das ist dann der Segen daran, am 24. Dezember Geburtstag zu haben?

Schönenstein: Ja, und auch, dass sich so viele Leute trotz des besonderen Tages die Zeit nehmen, zu kommen – jeder muss ja etwas vorbereiten oder fährt irgendwohin – diese Wertschätzung zu bekommen, das ist schon schön.

Empfinden Sie diesen besonderen Geburtstag als Erwachsene anders?

Schönenstein: Ja, ganz anders. Als Kind ist es hart gewesen und manchmal auch traurig. Weh getan hat, dass ich von Klassenkameraden zu ihrem Geburtstag nicht eingeladen wurde, weil ich eben nicht eingeladen habe. Da habe ich schon drunter gelitten, still und leise vor mich hin. Mit dem Erwachsenwerden, als ich dann angefangen habe, meinen Geburtstag mit so vielen Leuten zu feiern, war das natürlich ein Unterschied. Aber meine Eltern haben für mich als Kind schon immer sehr gut die Balance zwischen Weihnachten und Geburtstag gefunden und auch die Geschenke getrennt: morgens auspacken zum Geburtstag und abends zu Heiligabend.

Was würden Sie Eltern von „Christkindern“ empfehlen – auch diese deutliche Trennung von Geburtstag und Weihnachten?

Schönenstein: Genau, dass das Kind auch wirklich das Gefühl von Geburtstag hat. Und vielleicht auch ein bisschen Nachfeiern ermöglichen, dass man dem Kind eine kleine Party in den Weihnachtsferien oder einen netten Tag mit anderen Kindern zusammen ermöglicht.

Was wünschen Sie sich persönlich fürs kommende Lebensjahr?

Schönenstein: In erster Linie, weiter gesund zu bleiben, denn ich habe sehr schlimme Jahre hinter mich gebracht mit Erkrankung. Eigentlich 30 Jahre, und ich stand bis vor anderthalb Jahren auf Morphium, acht Jahre lang, weil ich so starke Schmerzen hatte. Dank einer Ärztin, die ihr Pferd bei mir stehen hat, bin ich seit anderthalb Jahren zu 80 Prozent schmerzfrei geworden. Da wünsche ich mir Besserung, und dass ich vielleicht auch wieder ein bisschen aktiver reiten kann.

Darf ich fragen, was für eine Erkrankung Sie haben?

Schönenstein: Ich habe über 100 Reitunfälle und knapp 30 diagnostizierte schwere Gehirnerschütterungen gehabt. Wenn Sie so möchten, ist an meinem Schädel nicht ein Knochen heile geblieben in den Jahren als Berufsreiterin. Wenn es mich erwischt hat, hat es immer meinen Kopf erwischt, und ich habe das Gehirn kaputt wie ein Boxer.

Und trotzdem sind Sie dem Reitsport so treu geblieben?

Schönenstein: Ja, ich gehe immer wieder drauf aufs Pferd. Mir fehlt die Reiterei unendlich. Ich bin mein Leben lang ein Junkie mit der Reiterei gewesen, und da habe ich unfassbar drunter gelitten, die letzten zwei Jahre nicht mehr reiten zu können.

Was waren das für Unfälle, die Sie hatten?

Schönenstein: Die ganzen Unfälle sind in meiner Jugend passiert, zwischen meinem 16. und 28. Lebensjahr. Damals hatten Sie als Frau als Berufsreiterin einen ganz schweren Stand, sich zu behaupten. Ich war mit meinem 18. Lebensjahr bereits selbstständig, und das war als Frau in einer Männerdomäne sehr, sehr schwer. Ich habe mich dann darauf spezialisiert, junge Pferde zuzureiten, manchmal über 40 Drei- und Vierjährige im Jahr – und da fliegen Sie runter, wie im Western. Ich war halt nie die Sattelfesteste, und es hat leider immer wieder meinen Kopf erwischt. Ich hatte sieben, acht Mal die Nase gebrochen, Kiefer angebrochen, Schädelplatte gerissen.

Und das hat zu nachhaltigen gesundheitlichen Problemen geführt?

Schönenstein: Das alles hat das Nervensystem angegriffen. 2014 hatte ich kein Gedächtnis mehr, konnte kein Auto mehr fahren, konnte mich an meine Kinder nicht mehr erinnern, zumindest für Bruchteile von Sekunden. Daraufhin habe ich mich der Uni Bonn als Probandin zur Verfügung gestellt und mich entschieden, mir ein Gerät mit Elektroden an den Nervenbahnen am Hinterkopf anbringen zu lassen, das Stromstöße auf meinen Kopf leitet. Zehn Tage nach Einsatz des Gerätes kamen nach und nach meine Erinnerungen wieder. Viele Sachen aus der Kindheit fehlen mir zwar – wenn meine Geschwister Sachen erzählen, ist das so, als wäre ich nie dabei gewesen – aber vieles ist zurückgekommen.

Hat das auch Ihre Schmerzen beendet?

Schönenstein: Leider nicht. Man kann sich das nicht vorstellen, was für Schmerzen ich hatte. Wenn Sie an Zahnschmerzen oder Migräne denken – potenzieren Sie das 30-fach nach oben. Ich habe in den Schmerzschüben sogar geplant, mein Leben zu beenden. In einer Kölner Klinik hat man mir gesagt, dass man mir nicht mehr helfen kann. Auch das Morphium hat nicht mehr angeschlagen. Und dann hat mir schließlich eine Ärztin hier aus dem Reitstall helfen können. Sie hat sich vier Jahre Gedanken über mich gemacht und hat meine Schmerzen schließlich mit einer Tablettendosierung – unter anderem mit einer Entwässerungstablette und einem Betablocker – in den Griff bekommen. Ich weiß gar nicht, wie ich der Frau das je in meinem Leben danken kann. Ich glaube, es kann keiner nachempfinden, wie schön das Leben ist, wenn man so etwas hinter sich hat. Ich habe mein Leben wieder.

Da kann es ja nur Glück bringen, wenn Ihnen am Geburtstag so viele gratulieren kommen, oder?

Schönenstein: Ja, doch. Ich muss sagen, dass ich im Grunde genommen – ich weiß nicht, ob es mit dem Geburtstag zu tun hat – im Leben eigentlich ein Glückskind bin.

Das sagen Sie trotz Ihrer schweren gesundheitlichen Probleme?

Schönenstein: Wenn Sie ein lebensbejahender Mensch sind mit Humor, dann trifft Sie vieles einfach nicht so. Das alles hat mir eine ganz andere Sicht auf das Leben gegeben. Es hat mir gezeigt, wie wertvoll ein schmerzfreies Leben ist und wie klein viele Probleme um einen herum in Wirklichkeit sind.

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