Ausstellung „Meine Juden“: Miriam Cahn in Siegen Kämpferische Schweizerin mit Rubenspreis

Siegen · Das Museum für Gegenwartskunst MGKSiegen zeigt die Rubenspreisträgerin 2022 Miriam Cahn. Ihre Ausstellung heißt „Meine Juden". Ein Treffen mit einer sehr kampfeslsutigen 72-Jährigen, die auch ihre Themen so anpackt: kraftvoll, manchmal roh. Immer spannend.

 Preisträgerin Miriam Cahn in ihrer Ausstellung „Meine Juden“.

Preisträgerin Miriam Cahn in ihrer Ausstellung „Meine Juden“.

Foto: Heinz Pelz

Mit der neuen Rubens-Preisträgerin Miriam Cahn ist nicht zu spaßen. Aus dem kleinen Kopf blitzen ihre Augen, mit denen sie hellwach die Welt wahrnimmt. Die dünnen, grauen Haare stehen sprichwörtlich zu Berge. Die 72-jährige Schweizerin will eine Frau sein, aber wie ein Mann reden. In 14 Räumen im Museum für Gegenwartskunst Siegen breitet sie ein gewaltiges Panorama an Bildern aus. Nicht demütig, sondern kampfeslustig. Als Museumschef Thomas Thiel das Wort „Geburt" in den Mund nahm, verwehrte sie sich blitzschnell gegen eine Kunstgeschichte, die von Männern gemacht werde. „Ich nenne es Gebären. Es ist wichtig, dass die Frauen in Tätigkeit gezeigt werden, die nur Frauen kennen."

Eine Faust schiebt sich in Gesichter

Mehrmals schiebt sich in dieser Jubiläumsausstellung eine Faust ins Gesicht von Männern wie Frauen. Bei aller Schönheit in den Farben wirkt sie wie ein Rammbock, der das Blut ins Gesicht spritzen lässt. Seit 50 Jahren spielt diese feministische und politische Aktivistin lautstark die großen Themen des Menschseins mit schnellem Strich schonungslos, roh, direkt, expressiv und zuweilen auch brutal und böse durch. Es geht längst nicht nur um Geschlecht, Gewalt und Sexualität, sondern auch um die unzähligen Opfer nach Krieg und Flucht.

Verlockend schön sind die grünlich-blauen Farbschichten des Mittelmeers mit dem azurblauen Himmelstreifen, wären da nicht die sich auflösenden Gestalten, die auf dem Meeresboden haltlos driften. Entzückend ist das dünnflüssige wie pigmentreiche Kolorit, würde es nicht Gewalt und Geilheit begleiten. Der Geschlechterkampf mit all den männlichen und weiblichen Genitalien endet bestenfalls in der Groteske.

In die Höhe gereckte Hände erinnern an Ertrinkende

„Könnteichsein" nennt sie 2020 zwei erhobene Hände, die zwischen Sandstrand und Himmelsblau ihre zehn Finger in die Luft recken. Sie erinnern an Ertrinkende. Eine bläulich-blasse Figur hebt einen Teddybär an die Wasseroberfläche, als letztes Zeichen vor dem Untergang. Die Künstlerin selbst reißt im Gespräch gern die Hände hoch, als wehre sie sich gegen das Schicksal. Im Mittelpunkt ihrer Ausstellung hebt eine nackte Frau mit üppigen Brüsten und muskulösen Oberarmen ein blutrotes Paket auf den Kopf. „Meine Großmutter war eine starke Frau innerhalb der Familie", so erklärt sie voller Empathie. „Sie besaß 1933 den Mut zu sagen: 'Entweder Hitler oder ich' - und emigrierte alleinerziehend mit ihren zwei Söhnen, meinem Vater und meinem Onkel, von Deutschland in die Schweiz."

1985/86 erhielt Miriam Cahn ein DAAD-Stipendium für Berlin. Dort fragte sie sich erstmals, wie man Juden von Nicht-Juden, Nazis von Nazigegnern unterscheiden könne. Sie erfuhr von vielen Klischees und begann als Tochter eines jüdischen Vaters und einer arischen Mutter mit der Erforschung ihrer Ahnen. Mit den bärtigen, schwarzen Köpfen der Vätergeneration kniete sie sich in ihre Vergangenheit, fertigte monumentale Zeichnungen zu „Produktions- und Verbrennungsstätten" an und schuf 2005/2006 die Serie „Meine Juden", auf die sie nun zurückgreift. „Ich dachte immer, dass ich meine Juden am liebsten in Deutschland zeigen würde, im Heutedeutschland", sagt sie. In der heftigen Debatte um den Antisemitismus auf der Documenta wirkt dies hochaktuell. Doch ihre Figuren im Bild schauen zurück. Sie proben körperlich direkt den Widerstand und rufen zu ihm auf.

Wandfüllende Schwarzweiß-Zeichnungen

Eine wichtige Werkgruppe aus den 1985er Jahren ist „Lesen in Staub". Von einer Kreidefabrik ließ sie sich große, schwarz eingefärbte Kreideblöcke anfertigen. Ein Video zeigt, wie sie mit einem Küchenmesser den Kreideblock schabend in Staub verwandelt. Die Gestik erinnert an das Schneiden und Hacken einer Hausfrau in der Küche. Das Ergebnis sind herausragende, wandfüllende Schwarzweiß-Zeichnungen mit Energiezentren und Leerstellen. Sie erzählt, wie sie am Boden kniete, vor sich den schwarzen Kreidestaub, und mit geschlossenen Augen über die Fläche schabte, ins Dunkle eintauchte und die Orientierung verlor.

Doch selbst mit geschlossenen Augen weiß sie, was sie will. Ihr geht es längst nicht nur um Frausein, Geschlecht, Liebe und Sexualität, sondern um eine aus den Fugen geratene Welt. Konsequenterweise ist der Abgesang der Ausstellung ein farbiger Reigen wie nach einer Atomexplosion. Die Pedrella aber bilden pornografische Bildchen, liegen doch Sex and Crime dicht beieinander.

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