Dauerausstellung im Kunstmuseum Bonn „Wo stehst du mit deiner Kunst, Kollege?“

Bonn · Das Kunstmuseum Bonn präsentiert ab dem kommenden Mittwoch 21 neu gestaltete Räume in der Dauerausstellung. Das Motto lautet: „Nur nichts anbrennen lassen“

 Schlüsselreize einer Generation in Bildern: Intendant Stephan Berg (rechts) und Volker Adolphs vor einem Tableau von Michel Majerus.

Schlüsselreize einer Generation in Bildern: Intendant Stephan Berg (rechts) und Volker Adolphs vor einem Tableau von Michel Majerus.

Foto: Thomas kliemann/Thomas Kliemann

Nur nichts anbrennen lassen.“ Das Motto der mittlerweile achten Neusortierung und -positionierung der Dauerausstellung im Kunstmuseum Bonn suggeriert Eile. Dabei ging Corona-bedingt nicht alles so, wie geplant. Anfang Mai war die Vernissage vorgesehen. Da steckte das Haus im Lockdown. Darüberhinaus gab es durch die Abstandsregeln nachvollziehbare Probleme bei der Hängung und dem Arrangement der Schau. Kommende Woche präsentiert Intendant Stephan Berg nun „Nur nichts anbrennen lassen“, die erste Rochade, die der neue Vize Volker Adolphs mitinszeniert hat.

Es ist ein ausgezeichneter Parcours gelungen, der einerseits die Potenz der städtischen Sammlung vor Augen führt, andererseits auch ihre Grenzen. Die werden aber virtuos durch die Zusammenarbeit mit einer Handvoll Sammlern – etwa KiCo, Mondstudio, Scharpff-Striebich –, Schenkungen sowie Neuerwerbungen unter anderem dank der Freunde des Kunstmuseums Bonn überspielt. So kommen neue Akzente ins Haus, wobei die Tiefenbohrungen im eigenen Depot auch Überraschendes zutage förderten.

Bild mit Topflappen

21 Räume der Dauerausstellung werden neu präsentiert, etliche davon reflektieren vergangene Ausstellungen und erzählen in Gestalt von Erwerbungen, was daraus wurde. Mit jeder Schau wächst und gedeiht der Bonner Kunst- und Erlebnisspeicher. So ist ein Raum Georg Herold gewidmet, dessen Werkschau von 2017 in bester Erinnerung ist und dessen ironiesatte, witzige Arbeit „Nur nichts anbrennen lassen“ das Motto zur aktuellen Sammlungspräsentation lieferte. Das besagte Bild ist mit Erdöl gemalt, hat die Anmutung einer überdimensionalen Herdplatte, ist oben und seitlich mit gehäkelten Topflappen garniert. Nur nichts anbrennen lassen. Auch Thomas Huber (2016) und Thomas Scheibitz (2018) hatten exzellente Ausstellungen im Kunstmuseum: Nun kommen sie in einem spannenden Architektur-Raum-Kontext zusammen.

Die 30 Jahre alte Philosophie des Hauses, in erster Linie monografische Künstlerräume zu zeigen – was etwa einerseits mit Hanne Darbovens raumfüllendem Klassiker „Bismarckzeit“ von 1978 und andererseits mit Harald Naegelis zarten Zufallsspuren und Charline von Heyls anspielungsreicher Malerei vorexerziert wird –, wird zunehmend durch Themen- und Gruppenräume aufgebrochen. Spannende Paarungen kommen zustande. Das Tandem Herbert Brandl/Stephan Huber etwa bringt atemberaubende Bergwelten ins Haus: Brandls saftige, ausufernde Malerei, die das Pathos der Romantik nutzt, aber virtuos unterläuft, trifft auf Hubers faszinierende Pseudomonumentalität und die Zahngips-Modelle der Berge „Pelmo“, „Antelao“ und „Weisshorn“, zu denen der Betrachter fasziniert und ungläubig aufschaut.

Richter trifft Wool

Zwei großartige Bildskeptiker, das Stil-Chamäleon Gerhard Richter und der nicht minder virtuose, einer gestischen Malerei verpflichtete Christopher Wool begegnen einander in einem Grau-Schwarz-dominierten Raum. Die exzellenten Wool-Werke stammen aus der Sammlung Scharpff-Striebich, die etliche weitere Höhepunkte zur Ausstellung liefert. Mit „radikaler Malerei“ verzaubern Günter Umbergs im „Bonner Raum“ versammelte, soghafte, tiefschwarze Bildfelder, die als lapidares Gegenüber eine an die Wand gelehnte, subtil bearbeitete MDF-Platte von Johanna von Monkiewitsch haben.

Das Feld der Videokunst ist nur durch John Bocks „Unheil“ vertreten. Das der Fotografie vielfältiger, etwa mit Claudia Fährenkempers per Rasterelektronenmikroskop faszinierend ans Licht geholten ornamentalen Formen von Pflanzensamen und Hartmut Neumanns bizarren, irgendwie aus der Zeit gefallenen Fotostillleben, in denen er ausgestopfte Tiere mit allerlei Alltagsgegenständen in eine groteske Beziehung setzt. Ein delikates Foto-Doppel präsentieren die Kuratoren mit Viktoria Binschtok und Heidi Specker: Zwei Künstlerinnen, die in der Vergangenheit schon in Bonner Ausstellungen zu sehen waren und über das Bildmedium Fotografie nachdenken. Das Internet als Fundus und Komplize spielt dabei eine große Rolle.

Analyse der Malerei

Von der Befragung des Mediums Fotografie zur Analyse der Malerei: Katharina Grosses faszinierenden, gesprühten Farbwolken und Pia Fries‘ hinreißenden, mitunter zerkratzten und gequetschten Farbspuren in Kombination mit Zitaten aus der Blütezeit der Druckgrafik (Hendrick Goltzius) bieten zwei hochinteressante Ansätze. Vom Duo zum Trio: Zwei eherne Positionen des Kunstmuseums, der Hausheilige Blinky Palermo und der in einigen Punkten geistesverwandte Reiner Ruthenbeck, nehmen Katinka Bock in die Mitte, die mit ihrer fragilen Installation „Zabra Lonsa“ an eine Kunstaktion im Pariser Quatre-Chemins-Viertel erinnert.

Exklusiv für Bonn entstand das Ensemble des Malers Tobias Pils, dessen Bildwelt ebenso figurative Anklänge wie picassoeske Anspielungen umfasst, sich in Raumgefügen abspielt, die durchaus fragil, einsturzgefährdet wirken. Ein starker Raum in Schwarz-Weiß. Pils zählt zu den neuen, in Bonn bislang noch nicht im Kontext der Dauerausstellung präsentierten Künstlern.

Marcel Odenbach ist da eher ein alter Bekannter, den man aber mit seinen politisch-historischen Collagen gerne immer wieder sieht. Etwa mit dem brisanten Ensemble „Grünfläche“ (Brandanschlag in Solingen), „Magdalenenstraße“ (Erich Mielkes Büro) und „Heimat III“ (Kanzlerbett im Regierungsbunker). Stefan Vogel, ein ewig bastelnder, suchender, findender Bildforscher, bekommt einen Raum, in dem mit Textschnipseln, Wollfäden und angetackerten Bildresten übersäte Leinwände auf eine in sich ruhende Skulptur von Ulrich Rückriem treffen.

Baselitz’ „Straßenbild“ restauriert

Ein Wiedersehen gibt es mit Georg Baselitz‘ 18-teiligem expressiven „Straßenbild“ von 1979/80, das frisch restauriert ist, in Erdfarben und blutrot vor sich hinbrütet und den Besucher mit auf eine Zeitreise in die wilden, Testosteron-gesättigten 1980er nimmt. Mit Jörg Immendorffs historisch aufgeladenem „Café Deutschland“ sowie Werken von Heinz-Peter Adamski und Walter Dahn schwelgt „Straßenbild“ in guten, alten Zeiten. Sigmar Polke, auch er eine feste Größe im künstlerischen Programm des Hauses, begegnet in einem starken Raum den bunten Assoziationsfeldern von Michel Majerus und dem witzigen Agit-Prop von Milan Kunc. Majerus zitiert in einem Bild Immendorff: „Wo stehst du mit deiner Kunst, Kollege?“

Den vielleicht anregendsten Raum prägt Isa Genzkens feine, mit Arbeiten der Bonner Sanmmlung KiCo bestückte Werkauswahl, die sich buchstäblich zum Teil in Albert Oehlens Großformat „Raum für fantasievolle Aktionen“ spiegelt. In dem Gemälde klebt ein echter Spiegel, der den Raum und die umgebende Kunst einbezieht – und auch den Betrachter. Der muss in dieser Ausstellung ein Rätsel lösen: Im Depot  fand sich das offenbar für Bonn vorgesehene Modell Genzkens für einen Brunnen (1987): Ein hoher, massiver, vorne offener Betonring, vor dem Pappfiguren von Kasper König, ehemaliger Chef des Kölner Museums Ludwig, und seiner Frau Edda zu sehen sind. Wer weiß darüber Bescheid?

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