Interview mit Marc Zwiebler Wieso Bonn für das Badminton-Ass der Dreh- und Angelpunkt bleibt

BONN · Mit großen Schritten kommt Marc Zwiebler die Treppe hoch, nimmt jeweils zwei Stufen auf einmal. Es ist Marathon-Sonntag in Bonn, wir haben uns zum Gespräch im Alten Rathaus verabredet. „Wenn ich die Begeisterung so mitkriege, packt mich die Lust, mal mitzumachen“, sagt der 28 Jahre alte Badminton–Profi mit Blick auf das bunte Treiben auf dem Marktplatz zu unseren Füßen.

Halbmarathon und erst recht Marathon, das wäre Gift für einen Schnellkraftsportler. Also muss er damit noch ein wenig warten. Im Interview spricht der amtierende Europameister und zweimalige Olympiateilnehmer über die riesige Popularität seiner Sportart in Asien, die Lehren aus der schweren Verletzung, die ihn zeitweise in den Rollstuhl zwang und über sein Leben als Weltreisender in Sachen Profisport. Sein Lebensmittelpunkt: Meist da, wo der Koffer steht. Doch Bonn bleibt Dreh- und Angelpunkt.

Herr Zwiebler, Sie zählen beständig zu den besten 20 der Welt, sind die Nummer eins in Deutschland im Badminton, das hierzulande eine Randsportart ist. Fühlen Sie sich angemessen anerkannt?
Marc Zwiebler: Im Badmintonbereich ja, aber im Vergleich zu anderen Sportarten nein. Es mag ein Vorteil sein, sich in Deutschland ungezwungen überall bewegen und unerkannt über die Straße gehen zu können. Wenn ich auf Turnieren in Südostasien unterwegs bin, ist das ganz anders. Dort ist Badminton Volkssport, die dortigen Spitzenspieler sind echte Stars.

Werden auch Sie dort auf der Straße erkannt?
Zwiebler:Natürlich kommt das vor, besonders während der großen Turniere. Da wissen die Fans, wo der Seiteneingang der Halle ist, in welchem Hotel welche Spieler wohnen und wo wir gerne essen gehen. Dann werden Fotos gemacht und später bekommt man dutzende von Nachrichten via Facebook.

Das heißt, auch Sie schreiben Autogramme?
Zwiebler: Ja, in manchen Ländern schon, wie zum Beispiel in Indonesien, wo meine Sportart die eindeutige Nummer eins ist.

Das passiert Ihnen hier doch höchstens, wenn Sie in Beuel Brötchen beim Bäcker holen, oder?
Zwiebler: In Deutschland ist das natürlich regional begrenzt, besonders in einer Badminton-Hochburg wie Bonn kommt es aber öfters vor. Auf Turnieren in Deutschland schreibe ich auch Hunderte von Autogrammen, und zu Hause stapeln sich auch die Anfragen.

Sie erwähnten Indonesien, ein Land mit 250 Millionen Einwohnern. Schildern Sie mal die dortige Begeisterung für Badminton…
Zwiebler: Die ist fast noch größer als die für Tischtennis in China - etwa so, wie für Fußball und Tennis in Deutschland zusammen. So wie jedes Kind in Deutschland Fußball spielt, spielen dort die Kinder auf den Straßen Federball. Alle großen Turniere werden live im Fernsehen übertragen. Frühere Spitzenspieler sind Nationalhelden. So wie hier Kahn oder Beckenbauer bei Fußballübertragungen fungieren sie als Experten, analysieren und schimpfen. Jeder kennt sie. Ich weiß nicht, was mir lieber ist: so wenig Aufmerksamkeit wie in Deutschland, oder so viel wie da. Ein Mittelding wäre optimal.

Warum ist Badminton in Deutschland eine Randsportart?
Zwiebler:Der Sport hat in Deutschland keine Tradition und wird als Federball abgetan - ähnlich wie Tischtennis als Ping Pong. Zwar spielen viele Kinder irgendwann mal Federball, aber es wird fast nirgends als Leistungssport angesehen, sondern als Zeitvertreib. Zudem ist Deutschland in so vielen Sportarten absolute Weltspitze. Uns fehlen vielleicht die ganz großen Erfolge, um in die Massenmedien zu kommen. Man muss aber auch sagen, dass in Deutschland eigentlich nur der Fußball wichtig genommen wird. Zu olympischen Spielen und während der Winterpause der Bundesliga ändert sich das ein bisschen zu Gunsten der Wintersportarten, aber ausführliche Berichterstattungen über andere Sportarten sind meiner Meinung nach Mangelware. Das ist zum Beispiel in England anders. Die Engländer sind nicht nur verrückt nach Fußball, sondern verrückt nach Sport im Allgemeinen.

[kein Linktext vorhanden]Dennoch sind Sie seit rund 10 Jahren Profi. Wie ist das zu erklären?
Zwiebler: Eltern, Familie und Freunde haben mich dazu gebracht. Bei uns in Beuel hat Badminton Tradition. Ich habe mein Hobby und meinen Traum zum Beruf gemacht und bin in der sehr guten Situation, jeden Morgen mit einem Ziel und Motivation aufzustehen. Zudem habe ich in meinem noch jungen Leben viele prägende und unvergessliche Momente erleben dürfen und viele Menschen und Orte kennengelernt, die ich ohne den Sport wohl nicht gesehen hätte. Ich glaube auch, dass die vielen Reisen, die Siege, die Niederlagen und der Druck der letzten Jahre mich stark beeinflusst haben und mir auch nach meiner aktiven Zeit noch präsent sein werden. Und finanziell kann ich mich nicht beklagen, also warum Aufhören?

Wie viel verdienen Sie denn als Badminton-Profi?
Zwiebler: Nicht so viel, dass ich nach fünf oder sechs Jahren ausgesorgt hätte und nicht mehr arbeiten müsste. Es wäre aber schwierig, im normalen Berufsleben mein heutiges Einkommen zu erzielen.

Foto-Shooting mit den Beueler Badminton-Spielern
19 Bilder

Foto-Shooting mit den Beueler Badminton-Spielern

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Aus welchen Einnahmequellen setzt es sich zusammen?
Zwiebler: Zum einen aus Preisgeldern bei den lukrativen internationalen Turnieren, die größtenteils in Asien stattfinden. Zudem bin ich bei einem japanischen Ausrüster unter Vertrag.

Topstars verdienen 10 bis 15 Millionen Euro

Wie viel verdienen die Topstars der Szene aus Asien?
Zwiebler: Ganz grob geschätzt 10 bis 15 Millionen Euro pro Jahr, davon kommen etwa 5 Millionen vom Ausrüster.

Wie ist das zu erklären?
Zwiebler:Das ist kein Wunder bei diesem riesigen Markt: In China, Malaysia, Indonesien, Südkorea und Indien leben insgesamt fast drei Milliarden Menschen – das ist die annähernd die Hälfte der Menschheit. Und fast alle Länder sind wirtschaftlich im Aufwind. Das ist für die Firmen ein sehr interessanter Markt.

Den meisten unserer Leser werden die Namen nicht viel sagen – nennen Sie dennoch die Namen der Badminton-Stars…
Zwiebler: Die beiden Topspieler der Welt sind Lin Dan aus China, der zweimalige Olympiasieger, und der Weltranglistenerste Lee Chong-Wei aus Malaysia.

Warum sind Sie als Deutscher für die Japaner interessant?
Zwiebler: Mein Ausrüster ist der absolute Marktführer im Badminton und als Europäer hat man einen Exoten-Status im Badminton. Man sticht heraus. Zudem sind die Asiaten sehr Europa- und Deutschland-freundlich.

Haben Sie schon mal mit Timo Boll Erfahrungen ausgetauscht?
Zwiebler:Ja, Timo und ich haben viele gemeinsame Erfahrungen, auch wenn er selbstverständlich noch erfolgreicher ist. Wir treffen uns nicht sehr häufig, aber bei den Spielen in London haben wir die Telefonnummern ausgetauscht, so dass wir uns mal in Asien treffen können, falls wir beide gleichzeitig an einem Ort sind. Von den Medien in Asien werde ich sehr oft auf Timo Boll angesprochen.

Wie sieht ihr Alltag als Berufssportler aus?
Zwiebler:Das schöne ist ja, dass es so etwas wie einen Alltag kaum gibt. Ungefähr drei Monate des Jahres bin ich insgesamt in Asien unterwegs bin. 15,16 Turniere plus Bundesliga plus deutsche Meisterschaften: Das bedeutet 30 bis 35 Wochenenden mit Wettkampfeinsätzen. Mein Lebensmittelpunkt ist oft da, wo der Koffer steht.

Und was kommt nach der Karriere?
Zwiebler:Nebenbei bin ich in Betriebswirtschaftslehre in Saarbrücken eingeschrieben, das geht jetzt auch als Fernstudium. Mein Studienschwerpunkt ist Marketing und Kommunikation. Allerdings liegt für mich zurzeit ganz klar die Priorität beim Sport.

Um später im Sportbusiness einzusteigen?
Zwiebler:Eher nicht als Trainer. Ich sehe mich später eher in der freien Wirtschaft, wobei ich da natürlich nicht ausschließen möchte, dass ich da mit Leistungssport auf die eine oder andere Art und Weise zu tun habe.

Wie viel Training steckt hinter Ihren Erfolgen?
Zwiebeler:Etwa 30 Stunden pro Woche, verteilt auf zehn bis zwölf Trainingseinheiten. Dabei ist die Physiotherapie nicht mit gerechnet.

Wieso Zwiebler in Saarbrücken trainiert

Und warum absolvieren Sie die meisten Übungseinheiten in Saarbrücken?
Zwiebler:Weil dort der für mich zuständige Olympiastützpunkt ist. Als Badminton-Spieler braucht man gute Trainingspartner. Ohne sie kann man sich nicht weiter entwickeln. Neben mir sind ja noch weitere Bonner dort: Ingo Kindervater, Andras Heinz und teilweise auch Birgit Michels.

Kürzlich sind Sie zum siebten Mal deutscher Einzel-Meister geworden, letztes Jahr erstmals Europameister. Mit dem in der Nähe Ihres Olympia-Stützpunktes gelegenen BC Bischmisheim könnten Sie auch deutscher Mannschaftsmeister werden. Kommt ein Wechsel wirklich nicht in Frage?
Zwiebler:Wirklich nicht. Ich bin Bonner, dazu kommt die große Verbundenheit zu dem Verein, in dessen Halle ich groß geworden bin.

Hat das Verpassen der Play-offs Sie vielleicht ins Grübeln gebracht?
Zwiebler:Nein, ganz und gar nicht. Wir haben im Vergleich zu unseren Konkurrenten einen sehr kleinen Etat, können uns keine internationalen Stars leisten. Wir haben einen relativ kleinen Kader mit Leuten, die zu uns und dem Verein passen - die außerdem bereit sind, für die Liebe zum 1. BC Beuel auf einen gewissen Teil an Geld zu verzichten.

Warum endete die Saison mit Platz fünf in der Bundesliga enttäuschend?
Zwiebler:Von uns waren alle drei Leistungsträger bei den Olympischen Spielen. Daher gab es vor dem Liga-Auftakt keine Zeit, sich auszuruhen. Und wenn mal jemand in der Saison verletzungsbedingt ausfällt, kann man Spiele nur noch schwer gewinnen. Bei unserem Pensum ist es nur menschlich, das ein oder andere knappe Spiel zu verlieren.

Wie geht es mit dem 1. BC Beuel weiter?
Zwiebler:Ich hoffe, der Verein schafft es, weiterhin junge und engagierte Spieler zu finden, denn in Beuel können sie sich einfach super entwickeln. In ein paar Jahren wird es einen Umbruch in der Mannschaft geben. Darauf müssen wir uns vorbereiten. Es gibt viele finanziell starke Vereine. Da wird es schwierig mitzuhalten, aber mein Traum ist es weiterhin, nochmals deutscher Meister mit dem Verein zu werden, den meine Eltern mit aufgebaut haben.

Olympia 2016 ein großes Ziel

Zurück auf die große Bühne - Olympia. In London haben Sie Ihre zweiten Spiele erlebt. Bis Rio sind es noch drei Jahre. Dürfen wir uns 2016 auf einen Marc Zwiebler im Zenit seines Könnens freuen?
Zwiebler:Anfang 30 ist im Badminton das beste Alter für Europäer. Ich bin dann 32 – und habe derzeit das Gefühl, dass ich das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht habe. Rio ist mein großes Ziel. Ich hoffe, dass ich dort gesund antreten kann.

Zum Karriere-Abschluss?
Zwiebler: Danach sehen wir weiter. Ich habe mein ganzes Leben lang Badminton gespielt. Trotzdem sehe ich noch so viele Möglichkeiten, mich zu verbessern. Das gibt mir Motivation und Antrieb. Wenn ich dieses Gefühl einmal nicht mehr habe, höre ich auf.

Apropos Gesundheit: Fast hätten Sie Ihre Karriere mit 20 ja schon verletzungsbedingt abhaken müssen. Erzählen Sie uns nochmal Ihre Leidensgeschichte...
Zwiebler: 2005 bremste mich ein Bandscheibenvorfall aus. Es folgte eine lange Leidenszeit, in der ich zeitweise sogar einen Rollstuhl benötigte. Zwischenzeitlich hatte ich kein Gefühl mehr in den Beinen und konnte meine Zehen nicht bewegen. Die Zeit war eine harte Prüfung. Und dass ich nach einer Ende 2006 vorgenommenen Bandscheiben-OP wieder den Sprung in die Weltspitze geschafft habe, grenzt an ein Wunder.

Wie hat diese gefühlte Achterbahnfahrt in jungen Jahren Sie geprägt?
Zwiebler:Sie hat mich gelehrt, mit langfristigen Planungen vorsichtig umzugehen. Deshalb versteife ich mich auch nicht auf ein Ziel wie Olympia, sondern denke Schritt für Schritt. Außerdem hat sie mich ein wenig entspannter gemacht, denn gesundheitliche Probleme relativieren vieles, was man als junger, erfolgsverwöhnter Mensch vielleicht nicht so überblicken kann.

Wie sehen Ihre nächsten Schritte aus?
Zwiebler:Bislang ist Platz elf meine beste Weltranglistenplatzierung - mein Ziel also, es unter die Top Ten zu schaffen und dort zu etablieren. Das will ich aber nicht über irgendwelche exotischen Turniere schaffen, was möglich wäre. Leider hat es im März in Birmingham, im Badminton von gleicher Bedeutung wie Wimbledon im Tennis, nicht geklappt. 2011 war ich dort im Halbfinale, diesmal bin ich früh ausgeschieden.

Hopp oder Top - in ihrem Sport liegen Triumph und Tränen eng beieinander, weil jeder Turniereinsatz ein K.o.-Spiel ist. Hohes Risiko bedeutet aber auch gleichzeitig große Chancen. Gilt das auch für Olympia?
Zwiebler: Natürlich, wenn ich auf dem Feld stehe, will ich gewinnen. Jedes Spiel. Ob bei olympischen Spielen oder anderen Turnieren – das ist egal.

Wie viele Topspieler aus der Welt haben Sie schon geschlagen?
Zwiebler: Man formuliert es besser andersherum: Es gibt nur noch zwei, die ich nicht geschlagen habe.

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