Kommentar Weltklimareport - Chaos und Konsens
Wieder eine Warnung des Weltklimarats. Und wieder melden sich Forscher, die meinen, dass der Report dramatisiere, während andere ihn für ein weichgespültes Konsenspapier halten.
Es wird nur publiziert, was einstimmig abgesegnet wurde. So wird häufig die Formulierung "wird geschehen" in "wird voraussichtlich geschehen" geändert. Zudem fallen weniger wahrscheinliche, aber dennoch verheerende Gefahren unter den Tisch. Ein Wissenschaftler beschrieb die Crux einmal mit einer Frage: "Würden Sie in ein Flugzeug steigen, das mit weniger als 33-prozentiger Sicherheit, aber mit mehr als zehnprozentiger Wahrscheinlichkeit abstürzt?"
Dabei erscheint die im Konsens beschriebene Gefährdungslage schon ernst genug: Vor allem, weil sich die Niederschlagsverteilung weiter ändern wird, ist die Ernährung der Welt langfristig gefährdet. Erstmals taucht das Risiko von Bürgerkriegen in einem Weltklima-Report auf. Zudem bedroht der steigende Meeresspiegel rund 25 Prozent der Weltbevölkerung. Die Klimaschäden, heißt es, fallen um so geringer aus, je früher die Welt damit beginnt, sich an eine wärmere Welt anzupassen. Aber auch: Je früher die Menschheit ihre Treibhausgasschwaden verringert, desto weniger drastisch werden die Folgen ausfallen.
Davon ist die Welt jedoch weiter denn je entfernt. Fakt ist: Die Weltemission erhöht sich von Jahr zu Jahr. Damit steigt die Möglichkeit, dass Unwahrscheinliches wahrscheinlicher wird. Im Fokus stehen sprunghafte Entwicklungen, die die Vorstellungskraft überfordern. So sind dem Menschen lineare Entwicklungen (1 - 2 - 3 - 4 - 5) vertrauter als exponenzielle (2 - 4 - 6 - 16 - 32), wie sie in jedem chaotischen System schlummern. Auch das Klima gehört dazu, und es kann binnen kurzer Zeit Riesensätze machen. Nur hat der Mensch das noch nicht erlebt, aber die Wissenschaft es aus Jahrmilliarden Klimageschichte definitiv belegt.
Das allseits aus der Politik kommunizierte Zwei-Grad-Ziel steht damit im Zusammenhang. Wenn sich die Erdmitteltemperatur nicht stärker erhöhe, so die Forschung, könne "gefährlicher Klimawandel" vermieden werden. Gefährlich bedeutet unkontrollierbar, was der Fall wäre, wenn das Klima Sprünge macht. Das könnte etwa durch ein komplettes Abschmelzen Grönlands ausgelöst werden.
Doch zeigt der Alltag, dass der auf kurzfristige Effekte geeichte Kompass weiter den Menschen bestimmt. Ob es um das Braunkohlerevier Garzweiler II geht oder um Ölfelder in der - bald eisfreien - Arktis oder um die Kosten der Energiewende: Die große Bedrohung, die sich aus einem "Weiter so" zusammenbraut, wird ausgeblendet oder in die ferne Zukunft verortet. Das ist zwar menschlich, beeindruckt aber das nach den Gesetzen der Physik taktende Klimasystem nicht.