Kirche in Niederkassel Jens Römmer-Collmann nimmt sich Zeit zum Zuhören

Niederkassel · Der Niederkasseler Pfarrer Jens Römmer-Collmann geht seit einem Jahr regelmäßig raus aus der Kirche und steht bereit für jeden, der einen Gesprächspartner braucht – einmal in der Woche eine Stunde lang.

 Seit einem Jahr nimmt sich der Niederkasseler Pfarrer Jens Römmer-Collmann regelmäßig in der Innenstadt Zeit für ein Gespräch mit den Menschen. Viele nutzen die Gelegenheit.

Seit einem Jahr nimmt sich der Niederkasseler Pfarrer Jens Römmer-Collmann regelmäßig in der Innenstadt Zeit für ein Gespräch mit den Menschen. Viele nutzen die Gelegenheit.

Foto: Nadine Quadt

„Mal reden“ – zwei Worte nur stehen auf dem Schild von Jens Römmer-Collmann. Die ihnen innewohnende Einladung braucht keine weitere Erklärung. Im November 2020 schnappte sich der Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Niederkassel zum ersten Mal seinen Stehtisch, stellte ihn vor der Post-Apotheke an der Niederkasseler Straße auf und nahm sich eine Stunde lang Zeit für ein Gespräch. Mehr als ein Jahr später hält er sein Angebot weiterhin vor. „Und mir ist immer noch nie langweilig geworden“, verrät er.

Auch an diesem bitterkalten Dezembermorgen steht er nicht lang alleine da. Die einen grüßen, wechseln im Vorbeigehen ein Wort mit dem Geistlichen, andere bleiben stehen, trinken einen Kaffee mit ihm und erzählen von den Dingen, die sie gerade beschäftigen. Von Erlebnissen mit der Enkeltochter, von Sorgen um die in einer anderen Stadt lebende Mutter oder auch von der Auseinandersetzung mit Ungeimpften in der Familie. „Ich bin immer wieder erstaunt, wie offen die Menschen sind, obwohl wir nicht in einem geschlossenen Raum sind“, sagt Römmer-Collmann.

Dass seine „Plauderstunde“ im Freien einmal zur festen Einrichtung werden würde, hat er nicht gedacht, als ihm die Idee dazu im vergangenen Jahr kam. Damals war sie eine Reaktion auf die Beschränkungen durch die Corona-Schutzverordnung. Die Gottesdienste, wie sie im Advent 2020 möglich waren, waren nicht seine „Veranstaltung“. Viele Treffpunkte waren weggefallen. Daher habe er sich gedacht, „wenn die Leute nicht zu mir kommen können, komme ich eben zu ihnen.“

Dabei geht Jens Römmer-Collmann nach wie vor nicht aktiv auf die Menschen zu. Er steht an seinem Tisch und wartet. Meist nicht lange. „An manchen Tagen bleiben fünf, an anderen 15 Menschen stehen“, erzählt er. Ebenso variieren Länge, Intensität und Thema der Gespräche. „Ich hatte hier auch schon Diskussionen mit Corona-Leugnern“, sagt Römmer-Collmann. Wobei Diskussion im Grunde nicht das richtige Wort sei, räumt er ein:  „Die Frau hat ihrem Ärger Luft gemacht und ist dann weitergegangen.“ Und der Pfarrer hat einfach nur zugehört.

„Ein guter Ort für Kirche“

Manch einer bleibt auch mit einer konkreten Frage bei ihm stehen. „Immer mal wieder möchte jemand wissen, was er unternehmen muss, wenn er wieder in die Kirche eintreten will“, sagt Römmer-Collmann. Mal fließen im Gespräch Tränen, mal hat er an ganz herzzerreißenden Erfahrungen teil und oft wird auch gelacht. „Das ist hier einfach ein guter Ort für Kirche“, findet Römmer-Collmann. So könne er mitten in der Einkaufstraße zeigen: „Wir sind da.“ Das wüssten viele zu schätzen. Es gebe sogar so etwas wie „Stammkunden“, die gezielt an seinen Stehtisch kommen.

Seit Mai steht der Pfarrer allerdings nicht mehr an vier Tagen die Woche neben der Post-Apotheke. „Ich bin jetzt nur noch einmal die Woche da“, sagt er. Meist zum Ende der Woche hin, donnerstags oder freitags, so wie es seine Arbeit zuließe. „Dann haben die Menschen mehr Zeit und damit auch Ruhe für ein Gespräch.“ Er habe auch schon enttäuschte Reaktionen gehabt, wenn jemand ihn an seinem Stand verpasst habe.

„Auch mir würde etwas fehlen ohne den Stand“, gesteht Jens Römmer-Collmann. Das „Mal reden“-Angebot sei inzwischen ritualisiert und gehöre einfach zu seiner Seelsorge dazu. Deswegen denkt er noch nicht daran aufzuhören. Der Bedarf sei da. „Auch, wenn mindestens einmal im Monat gefragt wird, kommen denn auch Leute“, sagt Römmer-Collmann.

Die Formel „Mal reden“ scheint sich im Ort etabliert zu haben. Auch über das direkte, niederschwellige Angebot in der Einkaufsstraße hinaus. So erhielt der Pfarrer schon E-Mail-Anfragen mit beiden Worten im Betreff. „Darin ging es um die Bitte nach einem Gesprächstermin“, erzählt er.

Und doch kam es in den vergangenen Monaten auch zu Missverständnissen. „Bei mir wollte schon mal jemand sein digitales Impfzertifikat oder seine in der Apotheke bestellten Masken abholen“, so Römmer-Collmann, der seit 16 Jahren Pfarrer in Niederkassel ist.

Die läutenden Kirchenglocken sind das unüberhörbare Zeichen dafür, dass die Stunde am „Mal reden“-Stand verstrichen ist. Trotzdem hört der Pfarrer weiter zu bis das Gespräch für sein Gegenüber beendet ist. Dann erst pustet er die Kerzen aus, stellt sie zu Kanne und Tassen auf das Tablett, klappt den Tisch wieder zusammen und geht zurück in seine Kirche. Unter dem Arm auch sein „Mal reden“-Schild. Dem ist sein häufiger Einsatz inzwischen anzusehen. Deswegen, so verrät Jens Römmer-Collmann, soll es einen neuen Anstrich erhalten.

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