Streitbarer Lautsprecher Afghanistan-Experte zu Gast in Villip

Villip · Afghanistan-Experte Reinhard Erös spricht auf Einladung des Militärhistorischen Arbeitskreises Bonn-Rheinbach über Geschichte und Entwicklung des Landes. Zwischen drastischen Vorwürfen gegen den Westen blitzt die Liebe zum Land durch. In Wachtberg sind seit 2021 mindestens 15 Menschen untergekommen, die aus Afghanistan fliehen mussten.

 Arzt, Entwicklungshelfer und Ex-Offizier: Reinhard Erös bei seinem Afghanistan-Vortrag in Villip.

Arzt, Entwicklungshelfer und Ex-Offizier: Reinhard Erös bei seinem Afghanistan-Vortrag in Villip.

Foto: Alexander Barth

Spätestens nach einer guten Stunde tritt Reinhard Erös den Beweis an, dass er kein großer Freund von Zurückhaltung ist, wenn es um sein Herzensthema geht. So hat der Afghanistan-Experte bei seinem Auftritt im Saal des Hotel Görres in Villip direkte Worte übrig für einen Besucher, der sich eine Mahlzeit an den Tisch bestellt hat: „Sie wollen doch nicht etwa etwas essen, wenn ich gleich Fotos von Verletzten und Toten zeige?“ Die Mahlzeit verschwindet daraufhin vom Tisch, die direkte Ansprache und die scharfen Formulierungen des ehemaligen Bundesoffiziers bleiben neben seiner Expertise die Konstanten dieses Abends.

Mit kräftiger Stimme zeichnet Erös auf Einladung des Militärhistorischen Arbeitskreises (MHAK) Bonn-Rheinbach an diesem Abend vor rund 40 Gästen die Geschichte des zerrütteten Landes nach. Dabei hilft ihm vor allem die Erfahrung aus zahlreichen Vor-Ort-Einsätzen als Mediziner in den vergangenen rund 35 Jahren, bei denen er sich auf sämtlichen Ebenen in die Lebenswirklichkeit des Landes vertieft zu haben scheint. „Anders als etwa viele Minister und Bundeswehr-Generalität habe ich mich mit dem Land und den Menschen beschäftigt“, betont Erös, der während der gesamten rund zweieinhalb Stunden kaum ein gutes Haar an Militärführung und Politik auf Bundes- wie auf EU-Ebene lässt. „Ihr Versagen hat den Einsatz ab 2003 zu einem Debakel werden lassen“, so seine Überzeugung. „Dabei hat das Land nie Militär, sondern zivile Hilfe gebraucht.“

Vehementer Aufruf für Spenden und Hilfe

In einem rasanten Ritt durch die bedrückende und vom Krieg geprägte jüngere Historie – vom Einmarsch der Sowjetunion 1979 bis zum unrühmlichen Ende des von US-Präsident Bush ausgerufenen „Kriegs gegen den Terror“ 2021 – präsentiert der streitbare Friedensbotschafter auch einen Einblick in das schicksalhafte Hier und Jetzt des Landes und seiner Menschen, „das hierzulande und auf der ganzen Welt keine Sau interessiert.“ Für sich hat der Bayer den Weg des Lautsprechers gewählt, um auf die Lage aufmerksam zu machen: Dazu wirbt er seit Jahren bei seinen zahlreichen Vorträgen vehement für Spenden für Hilfsprojekte – darunter seine eigenen.

In der aktuellen Situation im Nachklang des Abzugs westlicher Truppen und nahezu sämtlicher Hilfsstrukturen aus Afghanistan sieht Erös geradezu ein Verbrechen: „Im größten Elend lässt man die Menschen allein, dann wird sich einige Monate lang aufgeregt, und nun ist fast wieder vergessen, dass die Menschen an Hunger und schlechter medizinischer Versorgung verrecken. Zudem muss dieser Massenauszug verhindert werden, wenn sich das Land festigen und erneuern soll.“

15 Menschen aus Afghanistan seit 2021 in Wachtberg

Der verstärkte Exodus nach der Machtübernahme der Taliban ist längst auch im Rhein-Sieg-Kreis und damit auch in der Gemeinde Wachtberg angekommen. Laut Pressestelle des Kreises sind 268 Menschen aus Afghanistan seit dem 7. Juli 2021 zugezogen. „Insgesamt wurden der Gemeinde Wachtberg bislang 15 Personen im Zuge der verschärften Situation aus Afghanistan zugewiesen“, sagt Gemeindesprecherin Margit Märtens auf GA-Anfrage. Dabei handele es sich um zwei jeweils siebenköpfige Familien und eine alleinstehende Person. Aktuell seien 54 afghanische Staatsangehörige in Wachtberg gemeldet.

Der 74-Jährige Erös hat neben allerlei Verachtung für nahezu sämtliche westlichen Entscheider der vergangenen rund 40 Jahre jede Menge Zwischentöne parat, die seine Liebe zu Land und Leuten erkennen lassen. Lediglich die im Veranstaltungstitel „Quo vadis, Afghanistan“ angedeutete Zukunftsperspektive kommt ein wenig zu kurz. An dieser Zukunft arbeitet Erös allerdings mit seinen Hilfsprojekten durchaus mit, wie er an diesem informativen und auf etlichen Ebenen herausfordernden Abend immer wieder durchblicken lässt.

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