Wöchentliche Tour durch Ludendorf, Odendorf und das Ahrtal Menschen vom Brüser Berg engagieren sich für Flutopfer

Brüser Berg · Marcus Dehning ist der Sankt Martin vom Brüser Berg. Doch er lebt in Swisttal, wo die Flut seiner Familie und ihm vieles nahm. Dass er langsam wieder optimistischer in die Zukunft blickt, liegt auch an Inge Illgner sowie Heidi und Gerald Möller. Seit fünf Monaten engagieren sie sich für Menschen in den Flutgebieten.

 Gerald (l.) und Heidi Möller (hinten Mitte) sowie Inge Illgner (2.v.r.) bringen Jutta Bartels (r.) und ihrer Tochter Weihnachtsplätzchen von Inhaftierten der JVA Siegburg.

Gerald (l.) und Heidi Möller (hinten Mitte) sowie Inge Illgner (2.v.r.) bringen Jutta Bartels (r.) und ihrer Tochter Weihnachtsplätzchen von Inhaftierten der JVA Siegburg.

Foto: Stefan Knopp

Es ist ein Dilemma. Um einigermaßen nachempfinden zu können, wie es den Menschen in den Überflutungsgebieten geht, müsste man eigentlich mal dort gewesen sein – es öffnet einem die Augen besser als jeder Fernsehbericht. Andererseits sollte man nicht nur zum Gucken dorthin fahren, wo Menschen seit fünf Monaten ihre Existenz wieder aufbauen müssen. Inge Illgner, Heidi und Gerald Möller gucken nicht bei ihrer wöchentlichen Tour durch Ludendorf, Odendorf und das Ahrtal: Sie helfen mit dem, was sie den Leuten bringen.

Am Samstag hatten die drei Plätzchen dabei: Die wurden von Insassen der Justizvollzugsanstalt (JVA) Siegburg gebacken. Die Inhaftierten hatten das in ihrer Freizeit in der JVA-Küche hergestellt, froh, auch helfen zu können. Einer hatte sogar Origami-Kraniche gebastelt. Illgner gehört dem Gefängnisbesuchskreis der evangelischen Kirchengemeinde Hardtberg an und hatte die Zutaten über die Seelsorge geliefert. Daneben war das Auto der Möllers mit Obst und anderen Spenden aus der Lebensmittelrettung des Rewe-Marktes auf dem Brüser Berg, Getränkeflaschen, Wurst, Schnitzeln, Zwiebelkuchen, Knabberzeug und vegetarischen Lebensmitteln gefüllt – sie kennen inzwischen die Bedürfnisse der Familien, die sie anfahren. Jedes Mal ist etwas anderes im Kofferraum. Vor zwei Wochen hatten sie zum Beispiel Adventskalender verteilt.

Seit dem 16. Juli sind sie in den Flutregionen unterwegs

Sie fahren seit dem 16. Juli in die Flutregionen. Eine Selbstverständlichkeit im Sinne der christlichen Nächstenliebe, sagen sie. „Am Anfang haben wir Lunchpakete gepackt“, erzählte Möller. Die wurden zentral ausgegeben. In der ersten Zeit fuhren sie zwei- oder dreimal in der Woche hin. Später wählten sie einige Familien aus, die sie gut kennen, um ihnen zu helfen. Britta und Marcus Dehning in Swisttal-Ludendorf etwa; er ist seit Jahren der Sankt Martin auf dem Brüser Berg. Über einen der Söhne erhielten sie Kontakt zu Leuten im Ahrtal, zu denen sie auch fahren. Oder die Bartels, die früher dort gewohnt hatten und eng mit den Pfadfindern vom Stamm Martin Bucer verbandelt waren, der zweiten Familie der Möllers. Jetzt leben sie in Odendorf direkt am Orbach, der Mitte Juli über die Ufer trat, Vieles zerstörte und in Ludendorf die Straßen flutete.

 Mit den Schneeschiebern am Infopoint in Odendorf wurde im Juli auch der Schlamm weggeschaufelt.

Mit den Schneeschiebern am Infopoint in Odendorf wurde im Juli auch der Schlamm weggeschaufelt.

Foto: Stefan Knopp

Bei Dehnings stand das Wasser kniehoch, machte das Haus an der Straße vorübergehend unbewohnbar und schob den Schlamm über den Innenhof bis in die hinterste Ecke ihrer Scheune. Im Hof fand anfangs das ganze Leben statt, nachdem das Wasser abgepumpt und der Schlamm hinausgekehrt worden war. Man war schon froh, als ein Gutachter bescheinigte, dass die Statik der Gebäude nicht gelitten hatte.

Das Wasser stand bis auf zwei Meter Höhe im Haus

Alle in der Straße waren betroffen, man unterstützte einander. „Man rückt noch mal ein Stück mehr zusammen.“ Über all das zu reden, fällt auch nach fünf Monaten noch schwer. „Man ist körperlich und psychisch fertig.“ Weihnachten wird nicht gefeiert, das ist dieses Jahr nicht wichtig.

Mit jüngeren Kindern kann man das Fest nicht ausfallen lassen. Also hat sich Jutta Bartels vom „weltbesten Infopoint“ am Zehnthof in Odendorf einen Baum besorgt, der auf der Terrasse steht. Der Orbach hatte die Hausfront eingedrückt und sich in die Wohnung ergossen, die nach wie vor Baustelle ist. Gerald Möller deutete auf den Treppenaufgang im Flur. „Das Wasser stand bis zur dritten Stufe von oben.“ Das sind mehr als zwei Meter.

Im Wohnzimmer läuft immer noch der Trockner, ein vertrautes Geräusch überall in den Orten. Man räumt, baut auf und ist dankbar für jede Hilfe. Die Bartels haben seit dieser Woche einen neuen Wasserzähler, endlich haben sie wieder warmes Wasser. Kleine Fortschritte haben eine große Wirkung, etwa bei der Reparatur der Hausfront. „Ich kam von der Arbeit und die Wand war wieder da“, erzählte Bartels. „Mir kamen die Tränen.“ Die kamen auch jetzt schnell wieder. Denn von der Normalität, die einige 100 Meter die Straße hinauf herrscht, ist sie noch sehr weit entfernt.

Die Flutopfer brauchen weiterhin Helfer für den Aufbau

Ohne den ehrenamtlich eingerichteten Infopoint, bei dem man Materialien, Rat, ein warmes Mittagessen von einem Kölner Caterer und mehr erhält, wäre vieles in den Swisttaler Ortschaften schwieriger. „Viele Menschen sind einfach noch gelähmt. Von so vielem musste man von jetzt auf gleich Abschied nehmen“, sagte Bartels. Man werde alles unternehmen, alle Corona-Auflagen einhalten, damit der Anlaufpunkt erhalten bleibt. „Die Helfer haben auch emotional und seelisch viel Unterstützung gegeben.“

Dort hofft Alexander Cremer vom Malteser-Hilfsdienst, dass ihm die neue Corona-Welle nicht noch mehr Helfer abspenstig macht – von 50 Leuten seien am letzten Wochenende 30 weggebrochen. „Das wird sich noch bis Frühjahr oder Sommer nächsten Jahres hinziehen“, sagte Cremer zu den Aufbauarbeiten. Immerhin, betonte Illgner: „Es ist jetzt Aufbau, nicht mehr Abriss.“

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