Kommunalwahl 2020 Im Viktoriakarree in der Bonner Innenstadt bewegt sich nichts

Analyse | Bonn · Seit zehn Jahren ist das Viktoriabad geschlossen. Seitdem laufen die Diskussionen zur künftigen Entwicklung des Karrees. Die Pläne für ein Einkaufszentrum scheiterten. Die Vorschläge einer Bürgerwerkstatt stehen bis heute nur auf dem Papier.

 Das Viktoriakarree aus der Vogelperspektive: Im hinteren Teil des Fotos ist das ehemalige Bad zu erkennen.

Das Viktoriakarree aus der Vogelperspektive: Im hinteren Teil des Fotos ist das ehemalige Bad zu erkennen.

Foto: Benjamin Westhoff

Vor der Kommunalwahl am Sonntag, 13. September, analysiert der General-Anzeiger in lockerer Folge Schwerpunktthemen, die für die Zukunft der Stadt wichtig sind. Heute geht es um gehemmte Stadtentwicklung am Beispiel des Viktoriakarrees.

■ Das ist die Situation: Das Viktoriakarree umfasst einen Gebäudemix, der vorwiegend aus Nachkriegsbauten besteht, mit Wohnungen, kleinen Geschäfte und Gaststätten. Mitten drin: ein Parkplatz, der privat verpachtet ist und früher überwiegend Besuchern des Viktoriabads zur Verfügung stand. Das Schwimmbad war das erste in Bonn, das dem Rotstift zum Opfer fiel; es ist seit zehn Jahren geschlossen. Seit 1906 gab es an der Franziskanerstraße ein Bad, damals mit feinem Marmor, Ornamenten, bunten Kacheln und goldenen Fenstern. Während des Zweiten Weltkriegs zerstörte 1944 eine Bombe den Prachtbau. 1964 entschloss sich die Stadt zum Abriss und errichtete einen Neubau, der 1971 eröffnet wurde. Heute befindet sich im Foyer das beliebte Café Blau, im Verwaltungstrakt sind das Stadtmuseum und die Gedenkstätte für die Nazi-Opfer untergebracht. Die Schwimmhalle diente zuletzt als Lagerstätte für die Boote der Bonner Schüler-Rudervereine. Im Rahmen des Beethoven-Jubiläumsjahres hat es die Internationale Beethovenfeste Bonn gGmbh gemietet. Die dort geplanten Veranstaltungen wie etwa eine Klanginstallation mussten wegen Corona auf das nächste Jahr verschoben werden. Einige Gebäude in dem Komplex stehen leer. Sie gehören der Signa – ein Unternehmen des österreichischen Investors und Karstadt Galeria Kaufhof-Besitzers René Benko. Dazu zählt etwa das Gebäude an der Rathausgasse, in dem früher der Kultclub Blow Up beheimatet war. Diese Immobilien stehen quasi als Mahnmale für die seit Jahren währenden Querelen um die städtebauliche Entwicklung des Viktoriakarrees.

Kommunalwahl 2020: Im Viktoriakarree in der Bonner Innenstadt bewegt sich nichts
Foto: Grafik GA

■ Das ist das Kernproblem: Das politische Hickhack um die Planung für ein Einkaufszentrum, die etwas unübersichtlichen Eigentumsverhältnisse und letztlich der Widerstand von Bürgern gegen alle bisherigen Vorschläge zur Entwicklung des Areals haben dazu beigetragen, dass dort bis heute Stillstand und Leerstand herrschen. Hintergrund: Kurz nach der Schließung des Viktoriabads wurde bekannt, dass Investoren Immobilien im Viktoriakarree aufkauften. Unter anderem auch das große Gebäude an der Stockenstraße/Ecke Rathausgasse, in dem einst Eisenwaren Dahm seine Waren anbot. Das Gebäude galt als Schlüsselimmobilie, um von dort aus das Areal zu erschließen und ein Projekt aus einem Guss zu verwirklichen. Als die ersten Mietverträge aufgekündigt wurden, wurde die Politik hellhörig. „Dort wird hoch gepokert und spekuliert“, warnte damals das SPD-Urgestein Herbert Spoelgen. Bei den kleinen Geschäftsleuten entstand Unruhe, man fürchtete, dass alteingesessene Ladenbetreiber und Anwohner vertrieben würden.

Wenige Jahre später siegte bei dem von der Stadt ausgelobten Wettbewerb Signa mit seinen Plänen, dort ein Einkaufszentrum mit rund 20 000 Quadratmetern Verkaufsfläche und die Philologische Bibliothek der Universität mit rund 6000 Quadratmetern zu errichten. Mitbewerber Hochtief unterlag mit seinem Wohnkonzept. Die Jury empfahl dem Stadtrat damals, die städtischen Immobilien rund um das ehemalige Viktoriabad an Signa zu verkaufen. Die Grünen, gerade mit CDU und FDP ein Bündnis eingegangen, waren dagegen. Die SPD war mehrheitlich zunächst dafür, die Mehrheit im Rat wäre also gesichert gewesen.

Doch dann bildete sich um den Bonner Geschäftsmann Axel Bergfeld, der in dem Karree einen Bioladen betreibt, die Initiative Viva Viktoria, die die Pläne strikt ablehnte und ein Bürgerbegehren startete. Mit großem Erfolg. Als es im Herbst 2015 im Rat zum Schwur kam, trat die SPD dem Bürgerbegehren bei. Eine Mehrheit, die dem für den Bau eines Einkaufszentrums unbedingt erforderlichen Verkauf der städtischen Immobilien an Signa zustimmen musste, kam nicht mehr zustande. In einer anschließenden Bürgerwerkstatt wurden zwar neue Ideen für das Viertel entwickelt, doch umgesetzt wurde bis heute nichts. So gammelt das Schwimmbad immer noch vor sich hin, wertvolle Flächen mitten in der Innenstadt werden seit Jahren für Parkplätze verschenkt, es kam zu einer Hausbesetzung, und einige Ladenlokale stehen weiter leer – auch wenn Signa seit einiger Zeit wieder das eine oder andere Ladenlokal und Wohnungen vermietet hat.

■ Das sind die Lösungsansätze: Das Ergebnis der Bürgerwerkstatt sieht eine Teilung des Quartiers durch eine neue, autofreie Straße mit neuer Randbebauung vor – die Viktoriagasse. Entstehen könnten dort Wohnungen, Geschäfte und Lokale. Ein Teil des Areals des früheren Hallenbads könnte Grünfläche werden, die Schwimmhalle mit denkmalgeschütztem Fenster für kulturelle Zwecke genutzt werden. Die Vorschläge beinhalten den Abriss einiger Gebäude und einen möglichen Umzug des Stadtmuseums in die ehemalige, dann sanierte Pestalozzischule an der Budapester Straße. Bisher hat der Rat aber nur beschlossen, dass das Stadtarchiv aus dem Stadthaus in die Schule umzieht. Für die Umsetzung des Bürgerkonzepts soll die Verwaltung auf Beschluss des Rates einen Bebauungsplan aufstellen. Um diese Entwicklung zu sichern, hat die Stadt Bonn Anfang des Jahres die Immobilie an der Rathausgasse 14 gekauft, die den SWB gehörte. Das Gebäude gilt ebenfalls als Schlüsselobjekt, weil es eine Durchfahrt zum dahinter liegenden Innenhof mit den Parkplätzen hat. Für den Umbau des Viktoriakarrees soll das Haus dann wohl abgerissen werden, um einen öffentlichen Raum und einen Durchgang von der geplanten Viktoriagasse zur Rathausgasse schaffen zu können. Auch hat die Universität ihr Anliegen bekräftigt, im Viktoriakarree ihre Philologische Bibliothek anzusiedeln. „Wir halten einen Standort in der Nähe des Uni-Hauptgebäudes nach wie vor für die ideale Lösung“, sagt Unisprecher Andreas Archut. Eine Lösung, die mit Blick auf die anstehende Komplettsanierung des Uni-Hauptgebäudes mittelfristig umgesetzt werden müsse. Dazu die Stadt Bonn: „Sobald die Informations- und Abstimmungsgespräche mit dem Land abgeschlossen sind, wird die Universität die Gespräche mit der Stadt weiter vertiefen.“ Eine Zeitschiene nennt die Stadt nicht.

■ Warum es noch keine Lösung gibt: Signa hatte sich bereits während der laufenden Werkstatt aus den Gesprächen herausgezogen. Anfragen des General-Anzeigers zum Stand der Dinge beantwortet das Benko-Unternehmen nicht. Auf Nachfrage bei der Stadt heißt es lediglich: „Die Stadt ist weiter in Kontakt mit Signa.“ Hinzu kommt, dass die Initiative Viva Viktoria die Planungen der Bürgerwerkstatt nicht akzeptieren will. „Die Stadt hat die Planungen im Alleingang erstellt und die Anlieger des Viertels nicht mitgenommen“, kritisiert Initiativensprecher Bergfeld. Die Initiative will, dass das Karree im Bestand weiterentwickelt wird und wartet nun mit neuen Vorschlägen auf: „Wir fordern die Stadt auf, das Dahm-Gebäude von der Signa zurückzukaufen und eine Kostenschätzung für eine Reaktivierung des Viktoriabads vorzulegen“, so Bergfeld. Es könnte als Universitätsbad Jung und Alt in die City locken. Auf Nachfrage des GA zum aktuellen Planungsstand antwortet die Stadt: „Es gibt eine Vielzahl von Interessenten für verschiedene Nutzungen, die ergänzend möglich und im Sinne einer Nutzungsmischung erwünscht sind.“ Parallel könne die Verwaltung zu den Vorschlägen der Bürgerwerkstatt einen Bebauungsplan aufstellen. Warum das bislang nicht erfolgt ist, war nicht zu erfahren.

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